Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
zu beschäftigen. Ihr war eingefallen, dass im Laboratorium wieder einmal sauber gemacht werden musste. Sie holte einen Eimer Wasser, Schrubber, Scheuersand und Tücher und ging durch den Apothekersgarten zu dem kleinen steinernen Häuschen in der Südwestecke. Unterwegs strich ihr Butz, der Kater, um die Beine, der gerade auf Mäusejagd war.
»Na, du alter Streuner, geh mit, dann hab ich wenigstens Gesellschaft«, lockte Hanna. Der Kater hockte sich erst einmal betont gleichgültig hin und putzte sich, dann aber galoppierte er ihr tatsächlich nach.
Im Labor lagerten alle Größen von Destillierkolben, Retorten, Alembiks und Glasballons. In einem alten Eichenschrank neben der Tür bewahrte Abdias Wolff etliche Stoffe aus dem mineralischen Arzneischatz auf: gelbes und rotes Arsen, Quecksilber, das man für die Graue Salbe gegen Syphilis brauchte, Salpeterpulver und Nitrium zur Blutverdünnung und Schweißbildung.
Johanna fing an zu schrubben. Kopfschüttelnd stellte sie fest, dass ihr Vater das Wasserschaff leer gelassen hatte. So etwas durfte eigentlich nicht passieren, denn ein Brand im Labor war wegen der vielen chymischen Substanzen kreuzgefährlich und musste sofort gelöscht werden können. Seufzend ging Hanna zum Gartenbrünnlein und holte Wasser. Der Vater wurde wohl langsam alt …
»Ach, hier bist du!« Dorothea kam lachend auf sie zu und umarmte sie. »Nanu, du machst ja ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter! Ist was los?«
Johanna konnte es nicht verhindern; ihr stiegen die Tränen in die Augen. »Der Hans bestellt das Aufgebot«, sagte sie leise.
»Na, endlich.« Thea sah ihre Schwester verblüfft an. »Was gibt’s denn da zu heulen? Du hast doch sonst nicht so nah ans Wasser gebaut.«
»Ach, ich weiß auch nicht.« Johanna wischte sich über die Augen. »Komm, hilf mir lieber im Labor.«
Thea folgte ihrer Schwester ins Steinhäuschen. Während Johanna die gläsernen Destillierhelme der Größe nach ordnete und mit ihren langen Schnäbeln durch die Lochhölzer steckte, staubte sie die Wandregale ab.
»Also, du musst unbedingt dein Hochzeitskleid beim neuen Schneider in der Lämmleinsgasse machen lassen«, plapperte Thea fröhlich, »der macht die schönsten Bauschärmel, mit ganz vielen Falten. Und es muss in Grün sein, oder Veilchenblau, das steht dir so gut! Wenn du willst, geh ich mit dir hin. Für den Hans brauchst du auf jeden Fall Schlumperhose und Überrock – der hat ja sonst immer nur so langweilige Sachen an. Einen anständigen Hut muss er auch haben, ich glaub, der Krämerskonrad hat neulich Pfauenfedern geliefert bekommen. Wegen der Spitzenkrägen könnten wir wieder an die Amsterdamer Verwandtschaft schreiben, die haben mir so einen hübschen geschickt, so was kriegst du hier nie! Und hast du dir schon Gedanken gemacht, wen du alles zur Feier einladen willst? Na ja, der Hans hat ja nicht so viel Familie … « Sie hielt inne und sah Johanna an, die unbeirrt weiter herumräumte, einen eisernen Dreifuß in der einen, einen Gießbuckel in der anderen Hand. Dann ging ihr ein Licht auf. »Sag mal, du bist doch nicht etwa schon schwanger … «
Johanna ließ den Dreifuß sinken, den sie gerade auf den Schrank stellen wollte, und drehte sich mit unglücklicher Miene zu ihrer Schwester um. »Ich weiß nicht. Vielleicht. Ach, Thea, es ist was ganz anderes. Ich glaub, ich will den Hans gar nicht mehr.«
»Lieber Himmel.« Dorothea musste sich vor lauter Bestürzung auf die Kante des Kesselofens setzen. »Aber warum denn auf einmal?«
»Ich hab in letzter Zeit viel nachgedacht«, begann Johanna stockend. »Der Hans kommt mir manchmal so kalt vor wie ein toter Fisch, und so hart und trocken wie ein Stück Holz. Er hat nur das Geldverdienen und sein Vorwärtskommen im Kopf. Wie’s mir geht oder den Leuten um ihn herum, das ist ihm völlig egal. Du weißt doch selber, wie er über die Hexen redet, über die Befragungen, die Folter. Da ist kein Mitgefühl, keine Achtung vor anderen Menschen, keine Herzenswärme. Ich hab noch nie erlebt, dass er sich was gönnt, dass er etwas genießt, dass er mal alle fünfe grade sein lässt. Es geht ihm immer nur um sich selbst und seinen Ehrgeiz, irgendwann einmal Erster Schreiber zu werden und dann vielleicht Ratsherr und dann Bürgermeister.« Johanna suchte nach Worten. »Weißt du, Thea, der Hans ist nicht gewalttätig, er ist kein Betrüger, er trinkt nicht, er ist zuverlässig und klug und strebsam. Andere Mädchen würden sich wahrscheinlich die
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