Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Hölle«, jammerte sie. »Lieber Gott, hilf.«
»Das hat dir eine angehext, ich schwör’s dir«, knurrte der Alte. »So was riech ich. Sie machen eine Puppe aus Wachs oder Lumpen und stecken Nadeln hinein.«
»So eine Puppe wie mein Häschen?« Mariele sprang auf, rannte zur Bettstatt und zog das inzwischen reichlich zerknitterte Stofftier hervor, das Johanna ihr geknotet hatte.
»So ähnlich. Aber der Zauber wirkt nur, wenn an der Puppe etwas von dem Menschen ist, dem die Drud schaden will. Abgeschnittene Haare oder Fingernägel. Dann kriegt der Verzauberte die Krankheit genau dort, wo die Nadel steckt.«
Mariele presste das Häschen an sich. »Mama, musst du jetzt sterben?«
Maria Reuß stöhnte leise. »Kennst du kein Gegenmittel, Vater? Ich halt’s bald nicht mehr aus.«
»Man kann den Zauber nur brechen, wenn man die Drud findet, und das ist schwer.« Der Alte überlegte. »Morgen ist Sonntag, da geh ich los und hol ein paar Blätter vom Wintergrün, das nach Norden hin wächst. Die bindest du dann beim nächsten Neumond über Nacht auf deinen Leib, da wo die Schmerzen sitzen. Ganz sicher hilft’s, wenn man die Blätter danach in kochendes Wasser wirft, das aus Eiszapfen geschmolzen ist. So hat’s meine Ahn immer gemacht.«
»Aber zur Zeit gibt’s noch keine Eiszapfen«, wandte Mariele ein.
»Also müssen wir’s mit heißer Butter versuchen, das wird auch gehen.« Reuß kratzte sich an seiner roten, knolligen Nase. »Das schickt die Schmerzen zur Unholdin zurück und quält sie so, dass sie ihren Zauber wieder wegnehmen muss.«
Wieder kamen Geräusche von draußen, ein Schnaufen und Stampfen. Mariele schrie leise auf, dann kroch sie schnell ins Bett unter die dicke Decke aus Fellresten, schloss die Augen ganz fest und rollte sich zusammen. Sie begann, lautlos das Vaterunser zu beten. Dann würden sie die Hexen bestimmt nicht finden. Die Reußin und ihr Vater machten hastig das Kreuzzeichen. Doch dann atmeten sie auf. Das alte Lied ertönte.
»He, Wachmann, he!
Die Uhr zeigt zwölf.
Gott hüt die Stadt
vor Feuer und Brand
und vor feindlicher Hand.
Prüft euer Schloss, euer Feuer und Licht,
dann schlaft in Frieden, ich halt Wacht.
He, Wachmann, he!«
Es war nur der Narben-Veit, der Nachtwächter. Die schwarzen Pocken hatten sein Gesicht so entstellt, dass er nur im Dunkeln und mit Kapuze das Haus verließ. Jetzt pumperte er, wie manchmal, wenn er drinnen noch Licht sah, mit seinem knotigen Stock gegen die Tür.
»Alles in Ordnung bei euch?«
»Ja«, rief der alte Reuß. »Schau du nur, dass du weiterkommst, Veit. Die Nacht ist niemands Freund! Und pass auf, heut ist die wilde Jagd wieder unterwegs.«
»Na, wenn du’s sagst.« Der Nachtwächter sah sich ängstlich um. Ihm war kalt, und er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Ja, die böse Hexenbrut bevölkerte wieder die Lüfte. Er konnte förmlich den Windhauch spüren, wenn die Unsichtbaren nahe an ihm vorbeiflogen. Und mit ihnen trieb es die armen Seelen der Toten um, kleine, schwach flackernde Flämmchen, bläulich und grün. Oh, er hatte sie schon oft gesehen. Oft waren das die Geister von jungen Frauen, die im Kindbett gestorben waren und nicht von ihren Neugeborenen lassen konnten. Wenn man sich dann schnell bekreuzigte und einen Bannspruch murmelte, verschwanden sie. Noch furchterregender waren die gräulichen Wiedergänger, die Geister der Elenden, die nicht in geweihtem Boden begraben lagen, der Selbstmörder, Ketzer und Ungetauften. Sie fanden keine Heimstatt in der Ewigkeit und waren dazu verdammt, in den Nächten zu wandern, bis sie einen fanden, der ihre Stelle einnahm. ›Der Herr gab den Tag den Lebenden, und die Nacht den Toten‹, so hieß es doch. Eine fette Ratte huschte vorbei, ganz nah an der Hauswand entlang. Der Veit drehte den Docht seiner Laterne höher. Mehr Licht tat gut.
»Ja, ja. Zum Fürchten ist’s!«, brummte der alte Reuß durch die Tür.
Der Veit grunzte zustimmend. »Schlimme Nacht. Heut möcht man keinen Hund vor die Tür jagen, obwohl’s nicht regnet. Schwarz und unheimlich. Ich bin froh, wenn mein Dienst vorbei ist, das kann ich dir sagen, Kunz. Ich rat euch allen, geht ins Bett! Wer schläft, sündigt nicht. Gut Nacht.« Er zog seinen Mantel fest um sich und stapfte weiter.
»Der Veit hat recht. Lass uns schlafen gehn.« Maria Reuß stand auf und räumte die Näharbeiten in eine kleine Truhe. Der Alte erleichterte sich derweil in einen Nachttopf und löschte dann das Licht. Beide schlüpften zu
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