Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
kleine Stange aus gelbem Wachs über der brennenden Kerze, ließ einen Tropfen davon auf die überlappende Stelle fallen und drückte seinen Siegelring hinein. »Caspar!«
Der Mohr rannte von seinem Fensterplatz herbei. »Bring dies dem Boten. Er soll es sofort ins Drudenhaus tragen.«
Cornelius war so erleichtert wie noch nie in seinem Leben. Es war ihm, als fiele ein ganzer Felsblock von seinen Schultern, und er hätte am liebsten laut aufgejubelt. »Eminenz, ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll«, sagte er mit bewegter Stimme.
Der Fürstbischof erhob sich und fuhr sich mit seinen dicken Fingern durch die spärlichen Locken. »Dankt mir nicht, Doktor Weinmann. Und wo diese Freilassung auch hinführt – verlangt nie wieder etwas von mir, hört Ihr? Meine Gutmütigkeit hat Grenzen. Die Schuld ist jetzt abgegolten. Geht.«
Cornelius verbeugte sich tief und verließ den Raum.
Draußen lehnte er sich erst einmal gegen die Wand und schloss die Augen. Plötzlich spürte er, wie sich die Müdigkeit bleiern in seinen Knochen ausbreitete. Erleichtert und doch nachdenklich ging er nach Hause. Er hatte das Wohlwollen des Fürstbischofs verloren, aber Johannas Leben gewonnen.
Zwei Stunden später öffnete sich das Tor des Hexenhauses, und Johanna trat ins Freie. Sie blinzelte in die gleißende Helligkeit des Nachmittags und rieb sich die wunden Handgelenke, um die sich eben noch eiserne Schellen geschlossen hatten. Warum man sie entließ – niemand hatte es ihr sagen können. »Befehl von oben«, hatte einer der Wächter gemurmelt.
Sie drehte sich um und las den Spruch über der Tür: »Discite iustitiam moniti et non temnere divos«. Sie konnte kein Latein, aber die Worte schienen ihr von Tod und Verderben zu künden. Dieses Haus strahlte etwas Böses ab. Etwas Kaltes, Dunkles ging von ihm aus wie ein schwarzer Schatten. Johanna verspürte plötzlich den unbändigen Drang, dieser Aura zu entrinnen, und begann zu laufen. Sie rannte, als ob Furien hinter ihr her wären, und blieb erst in der Langen Gasse atemlos stehen. Jetzt erst bemerkte sie, dass die Menschen sie anstarrten wie einen Geist. Sie sah an sich hinab. Immer noch trug sie den groben Drudenkittel, der bis unter ihre Knie reichte. Dann hob sie die Hände und betastete ihren kahlen Kopf. Ein alter Mann schlurfte an ihr vorbei und schlug dabei das Kreuzzeichen, Abscheu im Blick. Ihm folgte eine Mutter, die mit misstrauischer Miene einen Bogen um Johanna machte und dabei ihr kleines Kind schnell weiterzerrte.
Johanna wäre am liebsten im Boden versunken. Unsicher setzte sie einen Fuß vor den anderen. War das noch dieselbe Stadt? Dieselben Häuser, dieselben Menschen? Alles schien anders, fremd, feindselig, unwirklich. Langsam ging sie die Gasse entlang. Der Weg kam ihr endlos vor. Überall traf sie auf verschlossene Gesichter, auf Menschen, die ihr auswichen oder aber stehen blieben und sie angafften. War auch sie nicht mehr dieselbe, nach diesen zwei Tagen im Drudenhaus? Gehörte sie noch hierher? Musste man Abscheu vor ihr empfinden, Angst vor ihr haben? War sie nicht mehr Teil dieser Gesellschaft? Endlich kam die Apotheke in Sicht. Vor der Tür war Toni mit ein paar anderen Kindern ins Schussern vertieft. Er blickte kurz hoch, griff dann nach einem der Tonkügelchen, spuckte darauf, schüttelte es in der Hand, sah noch einmal auf die Gestalt, die sich mit unsicheren Schritten näherte, und ließ den Schusser fallen. »Vater, Vater, komm schnell«, rief er. Dann sprang er auf und lief in Johannas Arme.
Aus den Jahrbüchern des Collegiums der Gesellschaft Jesu zu Bamberg
Item unsre Patres haben nun mer alß ein hundert und viertzig, allesamt wegen Hexerey zum Tod verurtheilte Verbrecher auf dem Wegk zum Richtplatz begleithet, nachdem sie denselben auch während ihrer lang wierigen Hafft im schmutzigen Kercker vielfach Beystand geleistet. Mit Schwert und Feuer ist ein so schwerer Frevel durch die strafende Gerechtigkeyt gesühnt worden.
Im Collegium allerdings wirdt immer öfters die Meinungk lautt, die Malefizprocesse seien nit rechtmässig durchgeführt. Vor allen andern vertritt unßer Pater Petrus Kircher selbige Ansicht, der ja am meißten mit den Druden zu schaffen hat. Er macht offt und immer wieder glaubhafft, daß die Tortur nit zur Erlangungk der Wahrheyt taugt. Niemands würdt so unmenschlichen Schmertz ertragen. Wer einmal ins Hexen-Hauß käm, der würdt gleichsam unrettbar ein Opfer des Vulcanus. So werden immer meher Zweiffel laut und
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