Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Herrgott, wie schön sie ist, dachte er, sogar jetzt noch.
Unendlich vorsichtig nahm er ihre Handgelenke, und dennoch zuckte sie zusammen. Er zog ihre Arme nach unten und tat dann, was seine Pflicht war. Sah hinter ihre Ohren, in ihre Nase, in den Mund, begutachtete jeden Fleck, jede erhabene Stelle, jede kleine Narbe. Er ließ sie die Beine öffnen und kontrollierte ihr Geschlecht. Verzeih mir, dachte er, und ekelte sich vor sich selbst. Nichts, nicht die kleinste Winzigkeit dieser erniedrigenden Prozedur konnte er ihr ersparen, wenn er ihr helfen wollte. Er würde kein Hexenmal finden, und deshalb durfte er sich bei der Untersuchung keinen Fehler leisten. Er wusste, Vasold überwachte alle seine Bewegungen argwöhnisch, damit er auch ja nichts ausließ.
Er berührte Johannas Schultern und drehte sie um. Ließ sie die Füße heben und betrachtete ihre Fußsohlen, die Zwischenräume ihrer Zehen. Spreizte ihre Hinterbacken, sah unter ihre Achseln.
»Hier vorne am Knie, das ist eine Narbe, seht Ihr?«, wandte er sich zum Schluss an Vasold. »Und da, dieser dunkle Fleck auf dem Schulterblatt, ein gewöhnlicher Naevus, also ein großes Muttermal.« Er wollte, dass der Hexenkommissar alles selber sah. Der kam ganz nah heran und kniff die Augen zusammen.
»Ihr habt recht viele Muttermale, was, Jungfer Wolff?«, säuselte er.
»Es sind meist Sommersprossen«, kam ihr Cornelius zu Hilfe.
»Wie kamt Ihr zu der Narbe am Knie?«
Johanna blickte nach unten, als ob sie die Narbe zum ersten Mal bemerkte. »Ich bin in eine Scherbe gefallen, als Kind«, flüsterte sie tonlos.
»Nun, wir werden sehen.« Vasold kratzte sich am Kinn. Dann wies er mit spitzem Finger auf ein gewölbtes schwarzes Pünktchen an Johannas Haaransatz im Nacken. »Und was ist das?«
Cornelius berührte die linsengroße Stelle sacht. »Verruca vulgaris. Eine kleine Warze. Nichts Besonderes.«
»Hm. Würdet Ihr wohl geruhen, an allen drei entdeckten Malen die Nadelprobe zu machen, Doctor Weinmann?«
Cornelius vibrierte innerlich. »Selbstverständlich«, sagte er mit fester Stimme und holte eine lange, silberne Nadel aus seiner Arzttasche. Währenddessen verband der Malefizknecht Johanna die Augen mit einem dunklen Tuch.
»Jungfer Wolff«, sagte Cornelius sanft und legte Johanna die Hand auf die Schulter, »Ihr müsst jetzt sofort sagen, wenn Ihr etwas spürt. Es ist wichtig, also gebt gut acht.« Er stach mit der Nadel in den Randbereich der Narbe, und sie zuckte sofort. Ein Blutströpfchen bildete sich an der Einstichstelle. Cornelius atmete auf. Dann wiederholte er die Prozedur bei dem Muttermal an der Schulter. Johanna reagierte auf den Schmerz, und das Mal blutete. Jetzt noch die kleine Warze im Nacken. Er stach zu. Herrgott. Johanna blieb reglos und stumm.
Der junge Arzt begann zu schwitzen, und seine Hände zitterten leicht. Das Mal war gefühllos, er hatte es schon befürchtet.
»Was ist?«, fragte Vasold leise. »Spürt sie nichts?«
Cornelius setzte alles auf eine Karte. »Seht genau hin«, sagte er. Dann biss er sich auf die Lippen und trieb die Nadel tief in Johannas Fleisch. Gleichzeitig kniff er sie mit Daumen- und Zeigefingernagel seiner linken Hand schmerzhaft in den Oberschenkel, dort, wo Vasold es nicht bemerken konnte. Sie schrie auf. Und Gott sei Dank, Gott sei Dank, erschien auf der Warze ein dunkelroter Tropfen.
»Schreiber, notiert: Bei der Untersuchung der Johanna Wolffin wurde kein Hexenmal gefunden.« Vasold trat zurück und setzte sich wieder.
Cornelius schickte ein Dankgebet zum Himmel und löste die Augenbinde. Einen winzigen Augenblick lang ließ er seine Hand auf Johannas Wange ruhen, dann zwang er sich, sie wieder wegzunehmen. »Ihr dürft Euch wieder anziehen, Jungfer«, sagte er und reichte ihr den Kittel. Er schämte sich, ihr in die Augen zu sehen.
Dann war sie fort, der Malefizknecht hatte sie wieder zurück in ihre Zelle gebracht. An die nächsten beiden Untersuchungen konnte sich Cornelius später nicht erinnern. Nach Mittag ging er wie betäubt nach Hause, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Doktorhaus, Apotheke und Geyerswörth,
am nächsten Tag
Diese Nacht war die längste seines Lebens. Cornelius wälzte sich schlaflos von einer Seite auf die andere und dachte an Johanna, die in ihrer Zelle vermutlich auch keinen Schlaf finden würde. Wenn ich jemals herausfinde, wer sie besagt hat, dachte er, den bringe ich um! Aber dann schalt er sich selber einen Narren. Wer konnte schon der Tortur
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