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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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gewusst, nichts mehr war sicher, nichts mehr wahr, nichts mehr wie vorher. Und dann, in der Stunde ihrer größten Erniedrigung, war da Cornelius gewesen. Er, der ihr so viel bedeutete. Er hatte sie gesehen, nackt und geschoren, zitternd vor Angst und Schande. Und er hatte sie angefasst, an den geheimsten Stellen ihres Körpers, die nicht einmal sie selbst jemals berührt hatte. Er hatte Nadeln in sie gestochen. Sie hatte geglaubt, vor Schande sterben zu müssen.
    Und dann, als die Tortur schon nahe schien, als sie schon an ihren eigenen Tod auf der Brandstatt glaubte, hatte man sie freigelassen. Als ob alles nur ein böser Traum gewesen wäre. Doch es war keiner. Jeden Morgen wachte sie auf, und die Wirklichkeit traf sie wie ein Schlag. Sie wurde die Angst nicht los, sie steckte immer noch in ihr wie ein schwerer Klumpen Blei. Sei doch guten Mutes, sagte ihr Vater, du bist wieder frei, alles ist vorbei. Aber sie konnte das Hexenhaus nicht vergessen. Und auch nicht die Blicke der Menschen, denen sie auf dem Weg nach Hause begegnet war.
    Irgendwann verließ sie ihre Kammer und begann wieder damit, den Haushalt zu erledigen. Es musste ja irgendwie weitergehen. Sie putzte und fegte, kochte das Essen, flickte Tonis zerrissene Hosen. Ihre Kahlheit versteckte sie unter einer weißen Haube. Deine schönen Locken, sagte Toni. Das wächst wieder, sagte ihr Vater.
    Veronika Junius kam. Dorothea und ihr Mann besuchten sie. Pater Kircher. Cornelius erkundigte sich in der Apotheke nach ihr, da schloss sie sich in ihrer Kammer ein. Und sie wartete auf Hans Schramm. Er musste doch kommen. Er war ihr Verlobter. Er würde zu ihr halten. Jeden Tag hoffte sie: heute. Es war vergeblich. Er blieb fort. Johannas Hoffnung wandelte sich in tiefste Enttäuschung. Warum nur ließ er sie so im Stich? Wie konnte er es fertigbringen, sich so zu verhalten? Ich versteh’s einfach nicht, dachte sie immer und immer wieder. Warum tut er mir das an? Er kennt mich seit unserer Kinderzeit, er muss doch wissen, dass ich unschuldig bin. Er hat gesagt, dass er mich liebt, mir die Ehe versprochen! In Johannas Kopf drehten sich die immer gleichen schwarzen Gedanken. Wie herzlos, wie kalt und wie feige musste ein Mensch sein, um so zu handeln wie er? Sie ausgerechnet dann zu verleugnen und zu verlassen, wenn sie ihn am dringendsten brauchte? Bald hatte sie sämtliche Hoffnung verloren. Er würde nicht kommen.
    Irgendwann begann sie wieder, Arzneien zu bereiten und in der Offizin zu helfen. Die Arbeit half ihr wenigstens, die schlimmen Tage schneller verstreichen zu lassen. Aber es gab kaum Kundschaft. Sie wusste, es war ihretwegen. Die kommen schon wieder, sagte ihr Vater.
    In der dritten Woche setzte er sich zu ihr in die Stube. »Du kannst dich nicht dauernd im Haus vergraben, Hanna«, begann er. »Das ist nicht gut, und mit jedem Tag wird es schwerer, wieder unter die Leute zu gehen. Es gibt keinen Grund, sich zu schämen. Schau, der Cornelius fragt jedes Mal nach dir, wenn er da ist … «
    »Ich will ihn nicht sehen!«, fuhr sie hoch.
    »Na, na.« Er tätschelte ihr begütigend die Hand. »Das musst du ja auch nicht, wenn du nicht willst. Aber du solltest wieder aus dem Haus gehen. Zeig den Leuten, dass du dir nichts zuschulden hast kommen lassen. Du bist besagt worden, für unschuldig befunden und wieder entlassen. Trag den Kopf hoch, Kind.«
    »Aber der Hans … «
    »Der kommt schon wieder. Vielleicht hat er Angst, dass er bei der Malefizkommission Schwierigkeiten bekommt, wenn er sich mit dir zeigt … « Er glaubte selber nicht, was er sagte. »Wart’s nur ab, das wird schon wieder. Seinetwegen jedenfalls solltest du dich nicht zu Hause verstecken.«
    Sie nickte und zwang sich zu einem Lächeln. »Du hast ja recht, Vater. Und ich kann dich und den Toni schließlich nicht immer die Einkäufe machen lassen, oder?«
    »Das meine ich doch auch. Und wenn du willst, dann begleite ich dich später zum Markt.«
    »Lass nur, das schaff ich schon allein«, winkte sie ab. »Geh du ins Laboratorium, da steht ein Korb mit Alantwurzeln, die warten aufs Destillieren.«

    Es war ein milder, sonniger Aprilnachmittag, und Johanna atmete die frische Frühlingsluft tief ein, als sie durch die Tür ins Freie trat. Sie hatte sich sorgfältig hergerichtet, ein sauberes hellgraues Kleid mit weiten Puffärmeln angezogen und die weiße Haube fest umgebunden. Ihr Herz klopfte, als sie mit dem großen runden Henkelkorb am Arm zum Grünen Markt lief. Der Mahnung ihres Vaters

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