Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Herr so quälte, und noch mehr machte es ihn traurig, dass er ihm nicht helfen konnte. Er beschloss, über Dornheims Schlaf zu wachen. Lange beobachtete er die tanzenden Schatten, die im Kerzenschein über die Wand huschten – der Fürstbischof hatte nicht im Dunkeln einschlafen wollen. Jetzt wälzte sich der schwergewichtige Mann unruhig hin und her, murmelte Unverständliches, schnarchte zwischendurch laut, fuhr immer wieder hoch.
Kaum hatte die Turmuhr drei geschlagen, war der Fürstbischof plötzlich wieder hellwach. Die Kerze war aus. Und auf einmal sprang ihn die Angst an wie ein Tier. Er konnte nicht atmen, nicht denken, nicht schreien, er saß nur da und war nichts als ein Bündel unendlicher, schwärzester Panik. Sein Herz klopfte bedrohlich schnell und wie im Krampf, hart und schwer wummerten die Schläge in seinem Hals. Er glaubte, ihm müsse es die Brust zerreißen, und begann laut nach Luft zu ringen.
»Herr, was ist Euch?« Caspar sprang auf und zündete in fieberhafter Eile mit Schlagring, Feuerstein und Zunderschwamm die Kerze wieder an. Er schüttelte Dornheim, schnürte sein Nachtgewand am Hals auf, rief um Hilfe. Doch mitten in der Nacht hörte ihn niemand. Er griff nach dem großen Glas Wasser vom Nachttisch und setzte es an Dornheims Lippen. Der trank in gierigen Schlucken; die Tropfen liefen ihm über Bart und Hals. In seiner Verzweiflung schlang der Mohr die Arme um seinen Herrn, drückte ihn fest an sich und wiegte ihn wie ein Kind hin und her. Endlich entspannte sich der Fürstbischof, sein Atem ging ruhiger. Das Herzklopfen beruhigte sich, die Todesangst schwand, die Brust wurde wieder weit. Irgendwann gab Caspar seinen Herrn frei; der ließ sich zurücksinken und war vor lauter Erschöpfung schon eingeschlafen, noch ehe sein Kopf das Kissen berührte.
Der Mohr blieb am Bettrand sitzen, erleichtert, dass der Anfall vorbei war. Zum ersten Mal fragte er sich, was wohl aus ihm würde, wenn Dornheim sterben müsste. Wo sollte er dann hin? Er hatte doch niemanden außer seinem Herrn und Ziehvater. Ihm wurde plötzlich bewusst, wie allein er war. Er hatte keine Familie, keine Freunde. Der einzige Mensch, dem er sich zugehörig fühlte und der sich um ihn kümmerte, war der Fürstbischof. Caspar betrachtete liebevoll das bleiche Gesicht in den Kissen. Der Böse hatte es auf seinen Herrn abgesehen. Es musste schrecklich sein, solche Angst vor dem Teufel zu haben. Wie konnte er nur helfen? Und dann kam ihm ein Gedanke. Leise stand er auf, nahm die Kerze und schlich durch die dunklen Gänge der Residenz hinauf in sein Zimmer. Er öffnete die große Truhe, in der seine Habseligkeiten aufbewahrt waren, zog Leintücher, Decken und anderes heraus und warf es achtlos auf die Seite. Endlich, ganz unten, hatte er gefunden, was er suchte: die hässlichen Geisterfratzen, die er in Erinnerung an seine Kindheit geschnitzt hatte. Er wählte die Garstigste, Abstoßendste davon aus, steckte sie unter sein Hemd und eilte in die fürstlichen Gemächer zurück. Wenn sich die bösen Geister in seiner Heimat von solchen Abbildern schrecken ließen, warum dann nicht der Teufel?
Der Fürstbischof schlief tief und fest, als Caspar an das Kopfende des Betts trat. Hier hing ein großes Marienbild an der Wand, ein wertvolles Gemälde mit verschnörkeltem Goldrahmen, das die Schmerzensmutter unter dem Kreuz zeigte, das Herz von Schwertern durchbohrt. Der Mohr hob das schwere Bild ein wenig an und klemmte die flache Maske zwischen Rahmen und Wand ein. Dann rückte er das Bild wieder gerade und trat einen Schritt zurück. Von außen konnte man nichts erkennen, aber nun war die Geisterfratze da und würde mit ihrem mächtigen Zauber seinen Herrn beschützen. Zufrieden rollte sich der Mohr endlich vor dem Prunkbett zusammen und schlief beruhigt ein.
Brief Johannas an ihren Vater vom 10.Mai 1629
Liebster, guter Vater, ich hoffe, es gehet Dir wohl. In meinem lezten Brieff hab ich Dir geschriben vom Wintter in Amsterdamm, wie die Kanäl zugefrorn waren und wir drauf Schlitt-Schuh gelauffen. Wie’s darnach Hoch-Waßer gab und alles Landt umb die Stadt überschwemmet. Heut möcht ich Dir, wie Du Dir’s in deinem lezten Brieff gewünscht hast, ertzählen von den Apothecken hierzuland. Der Onkel Maurits handelt ja nit nur, wie früher, mit Artzneyen und Gewürtzen, sondern er hat vor sechs Jahrn auch eine große eygene Apothecken eingerichtet. Die führet er zusammen mit dem Pieter. In der Officin stehen sie jeden Tagk, angethan
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