Die Seelenjägerin - 1
am Haupttor an und saß ab. Ein gut gekleideter junger Mann, der sich unbeholfen bewegte, weil er länger im Sattel gesessen hatte, als ihm zuträglich war.
»Ich suche den Mann, den man Pater Konstanz nennt«, rief er dem ersten Mönch zu, der Notiz von ihm nahm. Der Mann deutete zu dem steinernen Kreuzgang jenseits der Felder und nahm seine Arbeit wieder auf.
Der Bote ging so schnell auf das Gebäude zu, wie ihn seine steifen Beine trugen. Dabei machte er ein so finsteres Gesicht, dass mehrere Mönche die Köpfe hoben und ihn prüfend musterten, aber da er nicht stehen blieb und dazu einlud, stellte ihm niemand irgendwelche Fragen.
Im Inneren des Klosters musste er sich noch zweimal erkundigen, bis man ihn endlich in einen kleinen Raum an der Rückseite des Kreuzgangs schickte. In der schlichten, nur mit dem Nötigsten ausgestatteten Zelle saß ein junger Mann und las.
»Seid Ihr Pater Konstanz?«, fragte der Bote.
Der junge Mönch klappte sein Buch zu. »So ist es. Was ist dein Begehr?«
Der Bote zog eine flach gedrückte Schriftrolle aus seinem Wams, ließ sich auf ein Knie nieder und las vor: »Prinz Salvator Aurelius, Sohn des Danton Aurelius, ich bringe Euch Nachricht von der Königinmutter Gwynofar, die Schöne genannt. Sie teilt Euch mit großem Bedauern mit, dass der Großkönig aus dieser Welt geschieden ist und sein Erstgeborener und Thronerbe desgleichen. Nach geltendem Recht fällt damit der Thron des Großkönigtums an Euch. Sie bittet Euch, als Priester die Beisetzungsfeierlichkeiten abzuhalten, um danach die Mönchsgewänder abzulegen und Euren Platz an der Spitze von Dantons Reich einzunehmen. Ihr möget das Volk durch die Trauerzeit führen, um ihm hinterher ein starker und gerechter Herrscher zu sein.«
Der Bote rollte das Pergament wieder zusammen und wartete.
Fernes Glockengeläut forderte die Mönche auf, ihre Arbeit zu beenden und eine neue zu beginnen.
Der Mönch schwieg minutenlang. Dann stand er auf.
»Du kannst der Königinmutter melden«, sagte er, »dass Salvator kommen wird.«
Epilog
Niemand bemerkte, wie sich die Hexenkönigin davonstahl. Der Wein floss in Strömen, die Musikanten spielten, und die sorgfältig ausgewählten Gäste unterhielten sich gegenseitig, zumeist mit unanständigen Geschichten über frühere Feste. Wenn die Mischung stimmte, beschäftigten sich die Gäste mit sich selbst.
Sie schlüpfte leise aus dem großen Saal. Sie hatte von dem Trubel Kopfschmerzen bekommen und musste für einen Moment allein sein. Solche Anfälle von Menschenscheu hatte sie früher kaum gekannt, aber jetzt, da ihr Leben dem Ende entgegenging, wurden sie zunehmend häufiger.
Vielleicht waren sie nur die natürliche Folge der Erkenntnis, dass man bald sterben musste, und dass kein lebender Mensch daran etwas ändern konnte.
Noch kannte niemand die Wahrheit. Niemand sah, dass sie sich verändert hatte. Inzwischen krochen ein paar feine Linien, die auch die Magister mit ihrer Zauberei nicht mehr besiegen konnten, über ihr Gesicht, aber sie fielen nicht weiter auf. Auch die scheinbar grundlose Müdigkeit, die sie unversehens immer wieder überfiel, konnte sie überspielen.
Aber das war anstrengend und zehrte an ihren Kräften. Anstrengend war es auch, die liebenswürdige Gastgeberin zu spielen, wenn sie am liebsten auf den nächsten Tisch gestiegen wäre, um ihre Wut auf die Welt hinauszuschreien, die ihr einen so grausamen Streich gespielt hatte.
Und auf die Magister. Die Magister nicht zu vergessen.
Sie schlang die Arme um ihren Körper, als wäre es kein lauer Sommerabend, sondern tiefster Winter, und schlich hinaus auf die weiten Terrassen, die auf den Hafen hinausgingen. Hunderte von Booten schwankten unten auf dem Wasser und warteten auf die Morgenflut, brennende Laternen flackerten über Landungsbrücken und Laufstegen wie Schwärme von Glühwürmchen. Von da, wo sie stand, konnte sie das trunkene Gelächter der Seeleute hören, das Werben und Locken der käuflichen Frauen, die tausendundein Geräusche des Lebens in Sankara. Morgen früh würde die Sonne wieder aufgehen, die Händler würden ihre Geschäfte öffnen, die Fischer würden ihre Netze auswerfen, und die streunenden Hunde würden sich an die Fremden heranmachen, um einen Happen Futter zu ergattern. Alltag.
Wie einfach wäre es, von dieser Terrasse zu springen. Dann wäre alles zu Ende. Ein einziger langer Sturz in die Finsternis, eine zärtliche Berührung der schwarzen Wasser, bevor sie über ihr
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