Die Seelenjägerin
keinen Grund, daran zu zweifeln.
Jetzt drang er noch tiefer in ihren Körper ein und richtete alle seine Sinne auf die knisternde Flamme ihres Kindes, jenes zaghaft aufflackernde Seelenfeuer, das als Erstes die Entstehung neuen Lebens anzeigte. In diesem Stadium waren das Athra des Kindes und der Mutter noch kaum voneinander zu trennen, es war, als suchte er inmitten eines lodernden Feuers nach einer Kerzenflamme. Aber er hatte Erfahrung auf diesem Gebiet und wusste, wie er vorzugehen hatte. Ohne Gwynofars Wissen hatte er aus Neugier auf die natürliche Magie, die man ihrem Geschlecht zuschrieb, jede ihre Schwangerschaften genau überwacht. Vor allem deshalb hatte er Danton empfohlen, sich eine Braut aus einem Protektorengeschlecht zu wählen – er hatte ein Objekt für seine Studien gesucht.
Soweit er wusste, hatten weder Danton noch Gwynofar jemals Verdacht geschöpft. Und das war gut so.
Endlich fand er das winzige Geschöpf, dicht an das mütterliche Fleisch geschmiegt, wo es sich einspann in ein Nest aus Blut und Körpergewebe, das ihm für die nächsten neun Monate Geborgenheit geben sollte. Noch war es weder männlich noch weiblich, ja noch nicht einmal annähernd menschlich, aber das war für seine Magie kein Hindernis. Er hatte längst gelernt, dass bereits in der Saat, die bei einer menschlichen Paarung entstand, alles Weitere angelegt war, und dass man sie nur genau zu beobachten brauchte, um erahnen zu können, wie der Erwachsene sein würde. Nun beobachtete er bei diesem werdenden Kind das Auf und Ab seines winzigen Lebens, die Färbung seiner noch unentwickelten Aura, und zupfte an den Schicksalsfäden, um Einblick in das einmalige Muster zu gewinnen.
Dabei sprach er unentwegt, hörte jedoch seine eigene Stimme nur wie aus weiter Ferne, wie in einer Höhle, die den Schall zurückwarf. »Ich finde keine Spur fremder Magie. Auch weist nichts darauf hin, dass sein Körper oder sein Geist durch Magie verändert worden wären. Unter welchem Zauber seine Empfängnis auch gestanden haben mag, er hatte weder Auswirkungen auf sein Wesen, noch hat er ihm Kräfte eingeflößt, die Ihr zu fürchten hättet.«
»Den Göttern sei Dank!«, hauchte sie. Und dann flüsterte sie: »Ihr sprecht von ›ihm‹. Ist es ein Junge? Könnt Ihr mir das schon sagen?«
»Es wird ein Junge sein, wenn das Geschlecht festgelegt wird.«
»Könnt Ihr – könnt Ihr mir noch mehr verraten?«
Ramirus zögerte. Er hielt die Wahrsagerei für eine Kunst, die man besser den Scharlatanen auf dem Marktplatz überließ. Die meisten Prophezeiungen waren lediglich Hirngespinste oder geheime Wünsche, von findigen Hexen ausgebeutet, um ein paar Münzen zu verdienen. Den Menschen war eine ungewisse Zukunft nicht geheuer, und so bezahlten sie bereitwillig für jede Aussage, die ihnen Gewissheit vorgaukelte.
Allerdings waren im Körper eines Kindes bereits deutliche Anzeichen dafür vorhanden, was dereinst aus ihm werden könnte. Und schon die Tatsache seiner Empfängnis hatte große Schicksale in Bewegung gesetzt. Ein erfahrener Magister mochte solche Dinge erkennen und daraus seine Schlüsse ziehen. Ein sehr erfahrener Magister konnte sie zu einer Geschichte zusammenfügen, die die mögliche Zukunft des Kindes abbildete.
Er tat das nicht oft, aber für diese Frau würde er es versuchen.
Und so öffnete er sich den Strömen der Macht, die das Kind umflossen. Nicht nur Gwynofars eigenem Athra, sondern allen Bewusstseinssträngen im Palast, auch denen von Danton und Kostas und darüber hinaus … allen Gedanken und Zielen in Zusammenhang mit diesem Kind und seiner Zukunft. Einige Magister glaubten, man verschmelze dabei mit einem Universalbewusstsein, während andere von einer Zwiesprache mit einem allwissenden Gott redeten, der die Zukunft in ihrer Gesamtheit kannte. Ramirus war da sehr viel nüchterner, er glaubte einfach, dass jeder Gedanke und jede Tat in den Schicksalsströmen Wellen schlugen, die man beobachten und, wenn man nur genau hinsah, auch deuten konnte.
Aus diesem Blickwinkel betrachtete er nun das Kind. Es war körperlich gesund und kräftig und hatte gute Aussichten, voll ausgetragen zu werden. Das war bei Gwynofars Erbgut nicht weiter verwunderlich. Der Junge würde wie einst Andovan in Haar- und Hautfarbe und im Wesen seiner Mutter nachschlagen. Ramirus nahm sich die Zeit, ihr beide Beobachtungen mitzuteilen, und so konnte er mit ansehen, wie bei der Erinnerung an ihren verlorenen Sohn Liebe und Trauer in ihr
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