Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
fürchtete ihn nicht, damit du mich richtig verstehst, aber ich wollte ihm nicht selbst zum Opfer fallen. Allerdings hatte ich nicht erraten, was sich dahinter verbarg …«
»Das alles habt Ihr mir nie erzählt«, sagte sie leise.
»Gewisse Dinge behält man lieber für sich.«
»Die Einsamkeit bietet Euch keinen Schutz mehr«, mahnte sie.
Er antwortete nicht.
»Wenn Colivar die Wahrheit spricht, könnte die Rückkehr der Seelenfresser in jedem von uns das Ungeheuer wecken. Womöglich ohne dass die Entfernung eine Rolle spielt.«
»Hast du dich etwa zum Retter der Menschheit entwickelt?« Er lachte, doch es klang freudlos. »Gegenüber früher ist das eine gewaltige Veränderung.«
Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Ein halbes Dutzend bissiger Erwiderungen lagen ihr auf der Zunge … und blieben ungesagt. War es denn so unvernünftig, dass sie diese Ungeheuer fürchtete? Dass sie Angst um die Erde hatte, wenn sie in Scharen zurückkehrten? Eine solche Aussicht musste doch wohl jeden in Schrecken versetzen.
Sie dachte an die Trauerfeier für Rhys und an das starke Verlangen, das sie empfunden hatte, als sie auf die reglose Gestalt ihres Liebhabers hinabschaute. Sie hatte nie verstanden, was in ihm und seinesgleichen vorging, was einen Menschen dazu bewegen konnte, für eine Sache sein Leben aufs Spiel zu setzen. Doch in jenem Augenblick hatte sie die Kraft seiner Leidenschaft gespürt und ihn darum beneidet.
»Nimm dich bei deiner Rettungsmission in Acht«, warnte Aethanus. »Ein Magister kann ein Risiko eingehen, um sich zu zerstreuen – er kann sogar sein Leben riskieren, wenn der zu erwartende Gewinn hoch genug ist –, aber er darf es nicht einfach opfern. Sterbliche können sich im Dienst einer größeren Sache auf einen Scheiterhaufen werfen, wir können das nicht. Sobald wir den sicheren Tod akzeptieren, löschen wir jenen übernatürlichen Funken, der es uns ermöglicht, anderen das Leben zu stehlen.«
»Seid Ihr sicher?«, fragte sie, eine Spur von Trotz in der Stimme.
Es geschah selten, dass er erschrak. Und noch seltener, dass sie diejenige war, die ihn erschreckt hatte.
»Ist das jemals wirklich vorgekommen?«, drängte sie und beugte sich vor. »Oder nehmen wir einfach alle an, dass es wahr ist? Wie wir einmal annahmen, dass eine Frau kein Magister werden kann. Wissen wir denn wirklich, dass durch die Bereitschaft, sein Leben für eine Sache zu opfern, die Verbindung zu einem Konjunkten durchtrennt wird, oder ist das lediglich eine Vermutung?«
Schweigen stellte sich ein. Tiefes Schweigen. Draußen konnte man die Grillen zirpen hören.
»Nein«, sagte er endlich. »Ich kenne keinen Fall, der das jemals bestätigt hätte. Wohlgemerkt, das heißt nicht, dass es nicht vorgekommen sein könnte. Aber meines Wissens ist es nirgendwo belegt.«
»Dann entspricht es womöglich gar nicht der Wahrheit.«
»Ja.« Er leckte sich kurz die Lippen, als wollte er den fremden Gedanken kosten. »Es könnte sein, dass es nicht wahr ist. Aber willst du dieses Risiko eingehen?«
Sie antwortete nicht. Auf dem Kaminsims standen zwei Zinnbecher, die holte sie mit einer kurzen Geste an den Tisch, beschwor Branntwein und schenkte ein. Aethanus starrte seinen Becher lange an, dann setzte er ihn an die Lippen und nahm einen tiefen Zug. Und noch einen. Erst als der Becher leer war, setzte er ihn ab.
»Die Rolle, die du mir bei alledem zugedacht hast, sollte mir wahrscheinlich Angst machen«, sagte er.
Sie lächelte schwach. »Der Opfercharakter ist nicht allzu offensichtlich.«
Er füllte seinerseits mittels Zauberei den Becher aufs Neue. Ein solches Verhalten passte nicht zu ihm und bewies überdeutlich, wie sehr ihn die Enthüllungen an diesem Abend aus der Fassung gebracht hatten. »Heraus mit der Sprache.«
»Ich brauche Eure Hilfe als Gelehrter.«
Er zog eine Augenbraue hoch.
»Ich erinnere mich, dass Ihr eine Vorliebe für religiöse Handschriften hattet. Richtig?«
»Ich interessiere mich für die alten Menschheitsreligionen. Und für einige der neueren, soweit sie sich aus alten Wurzeln entwickelt haben. Wieso? Hast du etwa vor, der Priesterschaft eines Gottes beizutreten?«
»Nein. Aber ich habe in letzter Zeit seltsame Visionen und hoffe, Ihr könnt mir helfen, sie zu deuten. Das erste Mal traten sie auf, als ich mich für Colivar auf die Suche nach der Seelenfresser-Königin begab. Und als ich Tefilat für ihn erkundete, suchten sie mich abermals heim. Manchmal kommen sie auch
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