Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
sind solche Dinge wichtig, Kamala. Sie hätten sich nicht in dieser Form manifestiert, wenn es keine Bedeutung hätte.«
Sie zog scharf den Atem ein. »Ich sehe sie immer dann, wenn ich nach dem Aufenthaltsort der Hexenkönigin suche.«
Er nickte. »Vielleicht ist das die Verbindung. Du sagst, sie hat die Fähigkeit, sich vor ihren Verfolgern zu verbergen. Vielleicht fließen durch diese Idole mehr Energien, als sie geheim halten kann. Vielleicht … sickert ihre Essenz irgendwie durch? Ich weiß es nicht.«
»Und an welchem Ort existieren sie denn nun?« Sie bemühte sich, ihre Frustration nicht durchklingen zu lassen. Es war bitter, den Antworten so nahe zu sein und sie doch nicht fassen zu können. »Ihr habt Götter aus den vier Ecken der Welt genannt. Wo könnten sie denn alle zusammen sein?«
Er antwortete nicht gleich, sondern stand mit nachdenklicher Miene auf und ging zu seiner Kartentruhe. Der Schrank mit den vielen flachen Schubladen enthielt die kostbarsten und empfindlichsten Dokumente, die er in jahrhundertelanger wissenschaftlicher Forschung zusammengetragen hatte. Kamala beobachtete gerührt, wenn auch mit einer gewissen Ironie, dass er die brüchigen Pergamente wie rohe Eier behandelte, um sie nur ja nicht zu beschädigen. Jeder andere Magister hätte solche Wertgegenstände in seinem Haus mit Zauberei so stabilisiert, dass allenfalls ein Hurrikan ihnen etwas hätte anhaben können. Aber Kamala kannte ihn und wusste, dass er die Blätter gerade wegen ihrer Empfindlichkeit liebte. Man sollte Wissen nie für selbstverständlich halten , hatte er ihr erklärt. Die Brüchigkeit seiner Karten zwang ihn, sie mit der gebührenden Ehrfurcht zu behandeln.
Er wählte ein Dokument aus seiner Sammlung, trug es zum Tisch und legte es vor ihr aus. Eine Landkarte. Sie ließ die Becher verschwinden, um Platz zu schaffen, sodass sie das Blatt betrachten konnten, ohne etwas zu verschütten.
Es war eine ungewöhnliche Karte, die Himmelsrichtungen waren genau entgegengesetzt angeordnet wie üblich. Süden war oben, Norden war unten, das war ungewohnt, und so brauchte sie eine Weile, um sich zurechtzufinden. Doch als sie sich einmal darauf eingestellt hatte, bekamen die verschiedenen Landmassen und Wasserwege einen Sinn. Im Norden Städte an einem großen Delta. Im Westen ein Gebirge und im Osten eine Reihe von langen Bergketten. In der Mitte eine riesige Fläche, die kreuz und quer von schwarzen Linien durchzogen war. Alles war ordentlich beschriftet, die Schrift war ihr unbekannt, und die Karte war so alt, dass die Tinte verblasst und die Buchstaben kaum noch zu erkennen waren. Jeder außer Aethanus hätte das Ding schon vor langer Zeit restauriert.
»Erkennst du es?«, fragte er. Immer der Lehrer. Sie brauchte nicht lange zu überlegen; die Karte, die Colivar ihr gezeigt hatte, hatte in weiten Teilen das gleiche Gebiet umfasst.
»Da ist Anchasa«, antwortete sie und fuhr die Grenzen von Farahs Reich mit dem Finger nach. »Und da …« Sie deutete auf eine Stelle. »Tefilat.«
»Schau nach Süden«, forderte Aethanus sie auf.
Im Süden begannen die seltsamen Linien mit der unbekannten Beschriftung. Am Kreuzungspunkt einiger Linien befand sich die primitive Zeichnung einer ummauerten Stadt. Es war die größte Ansiedlung weit und breit, und sie war von einer kreisrunden Mauer umgeben. Darüber stand irgendein Titel und darunter eine Zeile in kleineren Lettern.
»Das sind Karawanenrouten«, erklärte Aethanus und wies auf die Linien. »Sie verbinden die Märkte des Südens mit Anchasa. Wer an dieser Route eine Wasserquelle kontrolliert, kann ein Vermögen verdienen. Um solche Orte werden Kriege geführt.« Er zeigte auf die Stadt. »Kannst du die Markierungen lesen?«
Sie konnte es nicht, doch wofür verfügte sie über Zauberkräfte? Flugs beschwor sie genügend Athra, um sich das nötige Wissen zu holen, dann wartete sie einen Moment, bis ihre Augen sich an das fremde Schriftbild gewöhnt hatten. Als sich die seltsamen Zeichen in vertraute Buchstaben verwandelten, begann sie zu lesen. »Stadt der Götter …«
Die Stimme versagte ihr. Ihr Herzschlag stockte.
»Lies weiter«, drängte er.
Sie streckte die Hand aus und strich mit zitternden Fingern über die verblasste Schrift. »Wer diese Tore erstürmt, der fürchte den Zorn der Götter Jezalyas.«
»Ich hatte von dieser Stadt vor langer Zeit gehört«, begann Aethanus. »Eigentlich nur in Mythen und Sagen. Ein mächtiger Geist, der die Wüste
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