Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
überraschte sie nicht, dass sie ihre Kräfte freiwillig einsetzen wollten. Die Banngesänge der Heiligen Hüter gestatteten es einer Gruppe von Hexen und Hexern, ihre Kräfte zu bündeln, sodass der Aufwand an Lebensenergie auf alle verteilt werden konnte. Bei einem Dutzend Seelen erlitte der Einzelne nur einen geringfügigen Verlust, und das Angebot gereichte der ganzen Gruppe zur Ehre. Besonders wenn es um Gwynofar ging, die ihr eigenes Kind für die gemeinsame Sache hingegeben hatte.
»Es wird eine Weile dauern, sie zusammenzurufen«, sagte Lord Keirdwyn. »Willst du inzwischen mit uns frühstücken?« Es zuckte um seine Mundwinkel. »Deine Mutter wird mir nie verzeihen, wenn ich zulasse, dass sie deinen Besuch verschläft.«
Gwynofar lächelte matt. Ihr eigenes Gesicht fühlte sich fremd an. »Nun gut«, sagte sie. »Ich will dich natürlich nicht in Schwierigkeiten bringen. Wir werden also wohl bleiben müssen.« Sie wandte sich an Ramirus. »Ich muss Salvator eine Nachricht schicken. Wenn er aufwacht und feststellt, dass ich ohne Erklärung aus dem Palast verschwunden bin … das wird ihm nicht gefallen.«
Der Magister verzog die Lippen zu einem Schmunzeln. »Das ist bereits erledigt, Majestät.«
Wieder lächelte sie. »Gut zu wissen. Bei Euch bin ich wohl immer in guten Händen.«
Die eisblauen Augen funkelten. »Ich tue nur meine Pflicht.«
Doch ihr fiel auf, dass er nicht einmal wissen wollte, wieso sie ihm verboten hatte, mit Magie auf den Kristall einzuwirken. Hatte das etwas zu bedeuten?
Die Neugier ist im Wesen jedes Magisters fest verwurzelt , hatte Danton einmal gesagt. Sich ihrem Ruf zu verweigern, ist ihm ebenso unmöglich wie einem Menschen, nicht zu atmen.
Sie war beunruhigt, wartete aber schweigend, bis ihr Vater die schwere Tür geschlossen und verriegelt hatte, und folgte ihm dann zurück ins Herz der Burg. Ramirus ließ die Kerzen verschwinden, die er beschworen hatte, und der Thron der Tränen blieb abermals im Dunkeln zurück.
Kapitel 22
Zu sagen, der königliche Palast von Anchasa sei auf Meilen im Umkreis sichtbar, wäre untertrieben gewesen. Die riesige vergoldete Kuppel reflektierte das Licht der Sonne so stark, dass sie selbst am hellen Mittag von weit jenseits der Stadt wie ein Leuchtfeuer zu sehen war. Wenn man näher kam, konnte man erkennen, dass die reich geschnitzten Pfeiler des Gebäudes mit bunten Bildern geschmückt waren, die verschiedene religiöse Ereignisse darstellten. Auf einem farbenfrohen Fries über dem Haupttor prangte – sozusagen als Mittelpunkt der Schöpfung und Stammfamilie, auf die alle anderen Königshäuser zurückgingen – das Siegel von Hasim Farahs Dynastie.
Verglichen mit der strengen Schönheit von Colivars weißem Tempel war dieses Bauwerk … nun, niemand hätte König Hasim Farah allzu viel guten Geschmack unterstellt. Dennoch könnte auch dieser Palast Colivars Werk sein , überlegte Kamala. An sich fielen solche Projekte nicht in die Zuständigkeit von Zauberern, aber sicherlich hatten schon Dutzende von Magistern für den einen oder anderen Monarchen Gebäude dieser Größenordnung beschworen. Was zählte das Leben eines unbekannten Bauern gegen den Wunsch eines stolzen Herrschers?
Colivars weißer Tempel existierte allerdings nicht mehr. Sie hatte die Stelle aufgesucht, wo er gestanden hatte, und zwar Abdrücke gefunden, aber keine Spur des Mannes selbst. Sie war auch an all den anderen Orten gewesen, die er ihr genannt hatte, hatte ihn jedoch nirgends angetroffen. Sie war sogar zu dem Baum zurückgekehrt, den sie als Versteck nutzten, doch dort hatte keine Nachricht gelegen, und es gab auch keine frische Fährte, die ihr verraten hätte, wohin er verschwunden war.
Außerdem hatte sie versucht, ihn mittels Zauberei ausfindig zu machen, was selbst unter günstigsten Umständen abenteuerlich war. Aber sie hatte keinen Anker, und seine Abwehr war entweder zu stark für sie oder …
Oder was?
Sie betrachtete den königlichen Palast – und spürte ein flaues Gefühl im Magen. Vielleicht hatte all das ja gar nichts zu bedeuten. Sie war schließlich nicht Colivars engste Vertraute. Er war nicht verpflichtet, ihr über jeden seiner Schritte Rechenschaft abzulegen.
Dennoch, sie musste ihn finden. Und sie hatte alle Möglichkeiten ausgelotet – mit einer Ausnahme.
So selbstbewusst wie möglich ging sie auf den Palast zu. Ihre Macht hatte sie so fest um sich gezogen, dass kein Hauch von Seelenfeuer nach außen dringen konnte; das
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