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Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)

Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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öffnete den Schirm der mitgebrachten Laterne, so weit es ging, und reichte sie Gwynofar. »Warum musst du ihn denn so dringend sehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Vater.«
    Obwohl sie es so eilig gehabt hatte, hierherzukommen, zögerte sie plötzlich, sich dem Ding zu nähern. Niemand wusste besser als sie, welche Macht der Thron der Tränen besaß und wie zerstörerisch er sein konnte. Sie schloss kurz die Augen und rief sich den Tag ins Gedächtnis, an dem sie all seine Macht zu ihrem Volk geleitet und alle Männer, Frauen und Kinder aus dem Lyr -Geschlecht miteinander verbunden hatte, um ihnen Bilder des Grauens in die Köpfe zu gießen.
    Und ihr ungeborenes Kind zu töten.
    Als sie endlich doch eintrat, zitterte ihre Hand, und der Schein der Laterne tanzte über die Wände. Der Thron war noch größer und beängstigender, als sie gedacht hatte. In dieser Umgebung wirkte er fast lebendig, die riesigen Schwingen waren ausgebreitet, als wollte er sich in die Lüfte erheben, die bläulich schwarze Oberfläche – sie bestand aus der Haut eines Seelenfressers – wirkte organisch. Er schien auf sie zu warten. Der Anblick verursachte ihr eine Gänsehaut, und sie strich unwillkürlich mit der Hand über ihren Leib, als wollte sie ihr ungeborenes Kind vor diesem Einfluss schützen. Doch dieses Kind war nicht mehr da; der Thron hatte es ihr bereits genommen.
    Sie zwang sich, näher zu treten, kniete vor dem großen Sessel nieder und nahm sich eine bestimmte Stelle vor. Hatte ihre Erinnerung sie getrogen? Die schweren Schnitzereien saugten das Licht der Laterne förmlich ein und warfen dunkle Schatten, sodass es schwierig war, die Feinheiten zu erkennen. Sie hielt die Laterne schräg nach oben, um das Licht dahin zu richten, wo sie es brauchte – und mit einem Mal waren sie und der Thron von Kerzen umringt. Es waren Hunderte, einige standen auf dem Fußboden, andere steckten auf hohen Ständern, und sie leuchteten jeden Winkel aus. Gwynofar nickte dankbar, ohne sich nach Ramirus umzusehen, und beugte sich vor, um die Armlehnen des Sessels genauer in Augenschein zu nehmen. Jetzt konnte sie sehen, wo ihr Blut daran hinabgelaufen war, als sie die Götter gebeten hatte, ihr Opfer anzunehmen, und wo sich ihre Nägel tief in das uralte Holz gegraben hatten, als die Bilder vergangener Kriege sie durchwogten. Und da war die Stelle, wo sie ihr erstes Blutopfer dargebracht hatte. Sie hatte sich an einer der scharfen Klauen, die aus den Armlehnen hervorragten, den Arm aufgerissen und mit ihrem Blut die faustgroßen Kugeln in diesen Klauen bestrichen.
    Kugeln aus schwarzem Kristall.
    Mit zitternder Hand berührte sie eine davon. Sie fühlte sich in keiner Weise mystisch an, doch das war auch an jenem Tag erst so gewesen, als sie mit ihrem Opfer die Macht des Throns geweckt hatte. Sie rieb eine Schicht angetrockneten Blutes ab, die den Glanz des Kristalls getrübt hatte, und sah, wie sich das Licht in den scharfen Facetten spiegelte und Ramirus’ Kerzenflammen in tausend Bruchstücken zurückgeworfen wurden. Auf den ersten Blick fühlte sie sich an ein Seelenfresser-Auge erinnert – eine unheimliche Assoziation –, doch bei näherem Hinsehen erkannte sie, dass die Facetten nach Größe und Form willkürlich waren, als hätte man tausend schwarze Glasscherben aneinandergeklebt und auf eine kugelige Basis gesetzt. Sie tastete mit den Fingern die Oberfläche ab, soweit es die Bauweise des Stuhls erlaubte. Nur die untere Hälfte der Kugel war sichtbar; die obere wurde von der geschnitzten Klaue verdeckt.
    Falls sie überhaupt vorhanden war.
    Sie fasste einen Entschluss, schob ihre Fingernägel unter eine der Klauen und versuchte sie abzuheben. Aber sie fand auf der polierten Oberfläche nicht genügend Halt, ihre Finger glitten ab; der einzige Lohn ihrer Mühe war ein abgebrochener Nagel. Hinter sich hörte sie einen der Männer näher treten, ihre Attacke auf das wertvolle Stück hatte ihn erschreckt. Doch die Götter hatten ihre Gründe gehabt, sie diese weite Reise machen zu lassen, sie würden nicht erlauben, dass jemand sie aufhielt.
    Dann nahm sie die Krone ab, die Ramirus für sie beschworen hatte. Der dünne, flache Reif ließ sich leicht unter eine der Klauen schieben. Gwynofar packte mit beiden Händen fest zu und drehte mit aller Kraft ihrer verstärkten Muskeln, um das Ding aus der Verankerung zu reißen. Der Kronreif verbog sich, brach aber nicht, und bald sprang die Klaue heraus; sie hörte sie

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