Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
Colivars Diensten, und überlegte, ob es sich lohnte, sich an fremdem Eigentum zu vergreifen. Früher hätte sie sich daran gestört. Vielleicht hätte sie sogar überstürzt ihre Unabhängigkeit beteuert, um klarzustellen, dass sie keines Mannes Eigentum war. Doch wenn die jüngsten Ereignisse auch nicht ihr Temperament gedämpft hatten, so hatte sie zumindest gelernt, wie wertvoll Diskretion sein konnte. Wenn es ihren Zwecken diente, dass Sula sie für Colivars Dienerin hielt, würde sie ihm nicht widersprechen.
»Er war vor einigen Tagen hier«, sagte Sula. »Dann trat er eine Reise an, um gewisse … Erkenntnisse zu sammeln. Danach wollte er wieder hierherkommen.«
Es ging um die Seelenfresser-Königin , dachte Kamala. Aber darüber hatte ich ihm doch berichtet. Er müsste doch inzwischen längst zurückgekehrt sein.
Es sei denn, er hätte aufgrund der Nachricht, dass sich in Tefilat keine Königin befand, den Eindruck gewonnen, er könne die Stadt gefahrlos besuchen und selbst nach weiteren Anhaltspunkten Ausschau halten.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
Ich komme zu spät.
»Wenn Ihr ihn seht, dann lasst ihn bitte wissen, dass ich Neuigkeiten für ihn habe. Neuigkeiten, die er kennen sollte, bevor er weitere Schritte unternimmt. Er weiß, wie er mich erreichen kann.« Sie musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um sich ihre Bestürzung nicht anmerken zu lassen. Wenn Colivar bereits nach Tefilat gereist war, befand er sich genau da, wo Siderea Aminestas ihn haben wollte. Und Kamala hatte ihn nicht rechtzeitig gewarnt! Am liebsten hätte sie mit der Faust die Steinwand durchschlagen, um ihrem Zorn auf die Götter Luft zu machen. Vielleicht hätte sie das auch wirklich getan, wenn Sula nicht vor ihr gestanden hätte. So aber holte sie nur tief Luft, ließ ihr Gesicht zu einer Maske vollkommener Gleichgültigkeit erstarren und verabschiedete sich höflich.
Der Diener, der sie zu Sula gebracht hatte, wartete draußen vor der Tür. Als er sie herauskommen sah, neigte er kurz den Kopf und machte dann kehrt, um sie zum Haupttor zurückzuführen. Sie wollte ihm schon folgen … als ihr einfiel, dass sie noch etwas überprüfen wollte. Und eine bessere Gelegenheit würde sich nicht finden.
Es war nicht weiter schwierig, die Erinnerungen des Dieners so zu manipulieren, dass er überzeugt war, sie bereits aus dem Palast geführt zu haben. Der Mann schüttelte verwirrt den Kopf und zog ab, um sich seiner nächsten Aufgabe zu widmen. Mittels ihrer Zauberei konnte sie sich vor allen anderen Morati verbergen. Nur bei einem Magister wirkten ihre Tricks nicht.
Oder etwa doch?
Ihr Herz pochte wild, und sie zwang sich zur Ruhe, um ihre Gedanken nach innen lenken zu können. Wenn Colivars Theorie zutraf, trug sie tief in sich den Keim der Macht eines Seelenfressers. Vielleicht sogar der Macht einer Königin. Konnte sie diese Macht irgendwie wecken? Und was wäre wohl der Preis dafür?
Am Ende zehre ich im Unterbewusstsein schon die ganze Zeit davon , ermahnte sie sich. In diesem Fall sollte es möglich sein, sie auch bewusst einzusetzen. Nicht wahr?
Sie schloss die Augen und versuchte, die Essenz der fremden Macht zu beschwören, mit der sich die Königin des Nordens umgeben hatte. Sie spürte der Unsichtbarkeit nach, die das Revier der Ikata wie ein Panzer abgeschirmt und ihre eigene Aufmerksamkeit jedes Mal abgelenkt hatte, wenn sie in die falsche Richtung schauen wollte. Die gleiche Macht schützte nun die Hexenkönigin in Jezalya, wenn auch nicht ganz so drastisch. Für Kamala hatte sie sich nicht als unüberwindliches Hindernis erwiesen, aber auf die männlichen Artgenossen mochte diese Macht eine viel stärkere Wirkung haben.
Jedenfalls hoffte sie das.
Unversehens zuckten Erinnerungen durch ihr Bewusstsein. Einzelne Bruchstücke, aus dem Kontext gerissen. Ihr Angriff auf den Magister namens »Rabe«. Ihr Kampf mit dem Seelenfresser. Der mitternächtliche Gang durch die Korridore von Anukyats Burg, vorbei an Wachen, die sie hätten sehen, an Abwehrzaubern, die sie hätten aufspüren sollen.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Tief in ihrem Inneren regte sich etwas Dunkles, eine fremde Energie, erschreckend und anregend zugleich. Nein , dachte sie trotzig, es war keine fremde Energie.
Es war ihr angestammtes Recht.
Komm zu mir , flüsterte sie in Gedanken, um die Quelle dieser Macht aus ihrem Versteck zu locken. Leih mir deine Kraft. Schütze mich mit deiner Gabe. Dann
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