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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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wagte nicht, ihn anzusehen.
    Die Schüler grüßten und verbeugten sich, als hätten sie Respekt. Thomas hätte sie mit beiden Fäusten prügeln können, gleich hier und jetzt, mit Knüppeln, bis sie lernten, wie das Leben wirklich ist.
    Margaret ging an ihm vorüber, er roch sie flüchtig. Es stach ihm so ins Herz, dass er die Hände hochriss und seine Brust mit aller Kraft zusammenhalten musste, sonst wäre sie zersprungen.

37. K APITEL ,
    worin der Vater seine Tochterliebe sucht und wiederfindet
     
     
     
    Lady Alice freute sich im Stillen. Sie spürte, wie es Morland ging, er quälte sich. Statt einzuschlafen, wälzte er sich hin und her. Sie hörte, wie er in seiner Kammer auf und ab lief, wie die Dielen knarrten bis zum frühen Morgen. Sie gönnte ihm, dass er sich grämte. Gott sollte ihn ruhig leiden lassen, so lange, bis er begriff, dass man nicht immer nur nach seiner Fiedel tanzte.
    Sie hatte Morlands Streitereien mit Margaret heimlich angehört. Den letzten, lauten, den wirklich schlimmen Kampf, bei dem die Tochter sich vergessen und zurückgeschlagen hatte, fand sie wunderbar. Wer, wenn nicht sie, die Ehefrau desselben Mannes, wusste, dass es Grenzen geben musste. Die sollte Morland ruhig mal spüren, das würde für ihn lehrreich sein.
    Natürlich hatte er am Morgen so getan, als sei nicht das Geringste vorgefallen, und forderte zugleich von ihr, sie möge Margaret suchen lassen, wenn nötig von Soldaten.
    Sie hatte nichts getan. Sie hatte nur genickt und war hinausgegangen. Jetzt saß sie in der Küche bei den Mägden, schnitt Brot und presste Käse. Man hörte, wie Morland im großen Zimmer nebenan die Stühle rückte, die Stiefel polterten umher, er war allein, aber er redete, er schrie und schnäuzte sich, er lachte angewidert und würde jeden Augenblick mit Feuer in der Stimme sein Mittagessen fordern.
    Die Tür flog auf.
    »Was gibt es heute?«
    Die Mägde zuckten. Alice streifte seinen Blick und schob die Unterlippe vor. »Ein dummes Hasenbein.«
    Er machte sofort schmale Augen. »Ja, ja. Die Dame hat mal wieder ihren Spaß. Du hast natürlich an der Tür gehorcht und mitgehört, was mir das Kind dort drüben an den Kopf geworfen hat. Alles sehr in deinem Sinne.«
    »Das sag ich nicht.«
    »Du denkst es, das genügt. Du freust dich nämlich, dass sie mich geschlagen hat. Das sieht dir ähnlich!«
    »Das Hasenbein ist roh«, sagte sie hart. »Wenn du es essen willst, dann musst du warten. Die Dinge brauchen ihre Zeit.«
    »Wie weise!«, rief er wütend. »Jetzt übt sie sich in schlauen Reden und wird mir noch am Ende meine Bücher besser schreiben als ich selbst!«
    Lady Alice kicherte. Wie hübsch es war, sich vorzustellen, in ihrem Alter noch das Schreiben zu erlernen! Warum nicht? Und wenn nur, um den Mann, der vor ihr stand, damit zu quälen.
    »Jetzt tut es dir natürlich Leid«, sagte sie.
    Er stand in der Tür und sah sie fragend an.
    »… dass du nicht auf Margaret eingegangen bist.«
    »Tut mir nicht leid.«
    »Lüg mich nicht an! Du hast jedes Wort verstanden und weißt, dass die Kinder Recht haben.«
    »Indem sie mich erpressen?«
    »Indem sie einen anderen Standpunkt haben. Vergiss deine Konventionen, das Gericht, so wie du es kennst. Sie wollen, dass du für sie da bist und nicht für ganz England.«
    »Das muss ich mir von meinem Eheweib nicht sagen lassen«, maulte er und kam endlich in die Küche. Er schloss die Tür. »Wenn du wüsstest, wie sie sich betragen hat!«
    »Hast du dich besser aufgeführt aus ihrer Sicht?«
    Er brummte, nahm sich einen Krug Wasser und trank. »Willst du uns gleichsetzen, ist es das? Alle Menschen sind aus einem Stoff, ob Neger oder Edelmann…«
    »Du weißt schon, was ich meine.«
    »Sie hat kein Recht, mich zu erpressen. Es gehört sich nicht.«
    »Sie möchte, dass ein Unrecht aufgedeckt und angeprangert wird, egal ob es ein Schreiber, ein königlicher Brautbeschauer oder Hofnarr angerichtet hat.«
    »Ich auch«, sagte er halblaut und stellte den Krug zurück auf einen Tisch am Fenster.
    »Und warum willst du ihr nicht helfen?«
    »Weil nichts in Ordnung ist!«, schrie er plötzlich. »Allein dass du es weißt, dass du die beste Kenntnis hast von allem, das gehört sich nicht. Die Form ist wichtig, Alice. Die Form hält unsere Welt zusammen. Ohne Form und Norm würde der Mensch zerfließen zu einem Brei, der… nichts wäre, gar nichts. Wir leben nun mal in einem Netz aus richtigen und falschen Wegen, die wir gehen können. Wenn wir die

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