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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Vater, hätten mich begleiten sollen, um zu erleben, was geschehen ist«, sagte sie mit sicherer Stimme.
    »Wieso sagst du das?« Er dachte sofort an Johan, an Clifford…
    »Andrew Whisper hat sich bei William Gills entschuldigt. Ich war dabei.«
    »Du warst bei ihm?«, fragte er zu arglos. Er hätte poltern müssen, aber wie in dieser Lage? »Wo denn, in irgendeinem Räuberlager? Du bist zwar wieder frei. Aber ich hatte dir gesagt, dass…«
    »Verzeihen Sie, Vater, dass ich ungehorsam war!«, unterbrach sie ihn. »Ein Freund von Andrew hat mich von hier mitgenommen. Ich bin gebeten worden, nicht entführt. Mister Gills hat mir gesagt, dass Andrews Zweck, ihn zu entführen, nämlich seinen Vater zu befreien, sinnlos war. Johan Whisper lebt nicht mehr.«
    Thomas hob den Kopf und blickte seine Tochter an. Er überlegte, was er sagen sollte. Sie war ihm also wirklich überlegen, sie hatte einen Vorsprung, den er nicht erwartet hatte. Er war erleichtert, dass es nur der tote Johan Whisper war, nicht etwa Clifford und der Mordauftrag.
    »Er starb in Newgate Prison«, sagte er.
    »Vor der Entführung Gills’«, ergänzte Margaret.
    »Ja, aber ich trage daran keine Schuld, es war nicht meine Absicht, ihm zu schaden, Megge…«
    »Sie haben mich angelogen, Vater, uns alle, die wir dachten, dass Andrew etwas Falsches tut.«
    »Es war falsch!«
    »Er hat sich wehren müssen. Sein Lehrer wollte ihn erschlagen.«
    »Clifford sagt das Gegenteil.«
    »Wird man dem Lehrer oder dem Schüler mehr Glauben schenken, wenn man den Hergang untersucht?«
    »Nur einer kann die Wahrheit sagen. Wir waren nicht dabei, Megge.«
    Sie nickte einfach und sah ihn lange an.
    »Du glaubst ihm also und möchtest, dass ich dasselbe tue«, sagte er. »Ich soll ihm helfen, ich soll ihn für dich aus dem Feuer holen…« Es fiel ihm schwer, den Satz zu sagen. Er hatte ein Gewissen, er war nicht hölzern, es tat ihm plötzlich alles Leid! Er schämte sich. »Ich weiß nicht, ob mein Arm so weit reicht, Kind.«
    »Immerhin so weit, dass Sie mich William Gills versprochen haben, weil er für Sie ein Schreiben formulierte, das Sie freispricht. Ich verstehe nichts davon. Sie werden ihn wohl nicht umsonst darum gebeten haben. Was hat man Andrews Vater angetan, als Sie ihn verhörten?« Sie weinte jetzt.
    »Nichts, Megge. Es war das übliche Verfahren.«
    »Wurde er geschlagen?«
    »Unerheblich.«
    »Wie können Sie mit dieser Schuld mit mir zusammenleben?« Sie wandte sich ab und wischte sich die Augen. Er sagte nichts, er machte Fäuste. Es war ihm peinlich, dass Gills das alles mitbekam.
    »Er hat mich ausgelacht, beschimpft, der Kerl«, erklärte Thomas. »Du weißt, er hat getrunken…«
    »Ich bin wie Geld für Sie, Vater, wie eine Ware auf dem Markt…«
    »Du bist mir pures Gold, mein Kind.«
    »Das kann ich nicht mehr glauben, Vater.« Sie schluchzte laut. Er äugte zu ihr hin, er traute seiner Tochter zu, dass sie nur spielte. Sie wollte ihn gewinnen, auf ihre Seite zwingen. Sie wollte, dass er diesen Andrew aus der Schlinge zog. Sie drehte sich um diesen Jungen, um niemand sonst, vor allem nicht um ihren Vater. Er musste sie entlarven. Wer hatte hier Gewalt und Macht?
    »Ich fordere dich auf«, sagte er fest, »dich von diesem Jungen loszusagen, hier und jetzt an dieser Stelle. Es ist sehr ehrenvoll von dir, ihn zu verteidigen. Aber was er getan hat… was er dem guten William an Schmerzen zugefügt hat, lässt sich nicht verzeihen, Margaret, vor allem um der Liebe willen nicht…«
    Er hörte, wie sie losschrie. Sie schrie etwas, es waren vielleicht Worte, er verstand sie nicht. Er fuhr vor Schreck zusammen. Sie riss die Tür auf, schrie einfach weiter, schrie ganz rücksichtslos das ganze Haus zusammen. Was fiel ihr ein? Wer war sie, sich das Recht zu nehmen…? Er schrie sofort zurück. Die Schreie gellten durch die Räume. Lady Alice flog herein und riss die Arme hoch. Die Mägde rannten in den Hof. Die Kinder liefen in den Flur. Thomas rannte Margaret nach, er schlug nach ihr, er traf sie, schrie sie an. Sie schrie zurück, sie schlug zurück, er konnte gar nicht glauben, was sie tat. Sie schlug nach ihm, dem Vater! Er kannte sie nicht wieder, er war außer sich. Was dachte sie sich bloß, was ging um Gottes willen in ihr vor…?

36. K APITEL ,
    in welchem sich die Tochter herzhaft wehrt
     
     
     
    Die drei Schüler waren in der abendlichen Dunkelheit ins Haus gekommen, darauf hatte Thomas größten Wert gelegt. Raspale hatte ausnahmsweise

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