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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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großer, weicher Hut, von dessen Höhe ein blauer Federstrauß in seinen Nacken fiel.
    Zwei Jungen schleppten ein Tablett mit Fisch. Es duftete sofort nach Zwiebeln und Holunderbeeren. Den Jungen folgte der Königliche Vorkoster mit seinem Kästchen, in welchem er die Natternzunge, das Einhornstäbchen und den Krötenstein bereithielt, um die Speise vor den königlichen Augen auf verstecktes Gift zu prüfen. Die Jungen traten an die Tafel, stellten das Tablett ab und machten sich davon. Der Koch kam näher, als ginge er auf rohen Eiern.
    »Die ersten, besten Heringe, mein König«, hauchte er und zeigte auf die Fische, die unter einer zarten Decke von Gewürzen lagen.
    Der Vorkoster stellte seinen Kasten auf und öffnete den Deckel. Er nahm die Natternzunge (eigentlich ein Haifischzahn, wie jeder wusste) und berührte den Hering. Er schien zufrieden. Der König beachtete ihn nicht.
    Boggis straffte sich, reckte den Hals und hüstelte. »Ich reiste auch nach Portugal. Dort fand ich eine Dame vor… ein reiner Engel, Sire. Sie zeigte mir die schönsten Fesseln dieser Welt. Ihr goldenes Haar ist länger als ihr weißer Körper, und ich darf sagen, dass sie beinah eine Heilige ist. Ihr Fürst und Landesvater hat sie bereits mit eigenen Geschenken überschüttet. Erfolglos, Majestät! Sie zu erobern, Sire, bescherte Ihnen sicher tiefere Freude als diese Fische dort…«
    Der König schaute hoch, nur einen kurzen Blick lang.
    »Verzeihung, Majestät! Ich muss mich wohl entschuldigen, ein sehr schwieriger Vergleich. Und dennoch trifft er ganz vortrefflich zu. Die zarte Schönheit, die zu betrachten meine größte Freude war, nennt man die Heringskönigin. Weil sie so zart und bleich ist, sagt man dort, nicht weil man sie verzehren will. Wenngleich ich zu bedenken geben möchte, dass, wer schöne Heringsaugen isst, sich nie mehr ängstigt, ja dass die Angst sich ganz verliert! Jetzt stellen Sie sich vor, Sire, Ihr, unser König, fühltet niemals Angst, Ihr lebtet vollkommen furchtlos!«
    Der König schmatzte. Der Richter winkte, dass Boggis weiterreden möge.
    »Ach ja, ich reiste weiter, Majestät. Ich werde immer für Sie Weiterreisen, ich erobere die Welt für unser Land. Ich segelte nach Afrika, ins Sultanat, nach Fes. Die Frauen dort sind unsichtbar, man ahnt sie bloß. Doch ahnen, Sire, ist viel erbaulicher als wissen. Die Phantasie ist uns der bessere Gott, der uns die Welt schafft, nicht wie sie ist, sondern wie sie werden sollte. Der Sultanshof empfing mich gut, obwohl wir nur mit Blicken und mit Händen sprachen. Die betreffende Prinzessin war verhüllt, bloß ihre Stimme nahm mich für sie ein, ihr Gang und wie sie sich bewegte. Sie konnte zaubern, Sire!«
    Der Koch stand immer noch bereit. Der Vorkoster hatte den Saal verlassen. Der Fürschneider, der das Fleisch tranchierte, und die fünf Tellerdiener warteten im Hintergrund.
    Der König nickte langsam. Der Koch verstand das Zeichen, dankte umständlich und begab sich unter dauernden Verbeugungen zurück zu seinem Tragestuhl. Der Richter machte neue Zeichen.
    »Diese Prinzessin, Majestät«, fuhr Boggis fort, »verstand es, mit den bloßen Händen Menschenhaar zu lenken. Sie rieb die Hand an einem Tuch. Dann sah ich, Sire, wie sie mit derselben Hand dem losen Kopfhaar einer Zofe nah kam und die Haare sprühend in die Höhe stiegen. Ich hatte Angst. Es knisterte gefährlich und ich erschreckte mich wie nie zuvor in meinem Leben… Uuiu«, machte er und vollführte eine weite, hohe Armbewegung in der Luft.
    Der Richter unterbrach ihn. »Das reicht dem König. Wir müssen Ihnen sagen, dass der Verdacht erhärtet wurde, dass Sie den König und das Volk betrogen haben.«
    Boggis verlor die Farbe im Gesicht.
    »Es haben sich in jüngster Zeit Dinge zugetragen, die wir, der König, nicht erklären können. So wünschen wir zu wissen, welchen Zauber Sie auf einen Schreiber namens Johan Whisper angewendet haben, dass er gewisse Briefe schrieb, die man bei Kindern fand, die sich mit eigener Hand getötet hatten.«
    »Ich bitte sehr. Gerüchte!«, rief Boggis. »Ich bin schuldlos, Majestät. Ich werde weiter meine Pflicht tun und Ihnen sagen, was ich in fernen Ländern für Sie…«
    »Man äußert den Verdacht«, unterbrach der Richter ihn erneut, »Sie würden Ihre Reisen als so genannte Mantelfahrten unternehmen, also mit einem Zaubermantel, das ist Hexenwerkzeug, wie Sie sicher wissen…«
    »Geschwätz!«, rief Boggis empört.
    Der König aß.
    Der Schreiber kratzte

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