Die Seelenquelle
Oxford«, teilte der Angestellte ihr mit. »Sie fährt bei Anbruch der Morgendämmerung ab. Sie können gerne hier darauf warten, aber wenn Sie noch einen Penny oder zwei haben, finden Sie eine komfortablere Unterkunft in der Schenke da drüben.«
Mina kaufte eine Fahrkarte und nahm sich dann den Ratschlag des Angestellten zu Herzen: Sie überquerte den Stallhof und mietete sich ein Zimmer in dem Wirtshaus. Dort erduldete sie ein ziemlich lautes Abendessen in einer grölenden Gesellschaft und eine ziemlich schlaflose Nacht in einem flohverseuchten Bett. Doch sie wartete bereits und hatte sich zuvor gewaschen und ein Frühstück eingenommen, als der Kutscher nach den Passagieren rief und sie zum Einsteigen aufforderte. Es waren insgesamt fünf. Wilhelmina – sie war die einzige Frau unter ihnen – schlief unterwegs ein bisschen und unterhielt sich höflich mit ihren Mitreisenden. Die Kutsche erreichte am späten Nachmittag High Wycombe, was eine weitere Nacht in einer Schenke erforderlich machte. Früh am nächsten Morgen brachen sie zum letzten Abschnitt der Fahrt nach Oxford auf.
Nach einer dritten Nacht in einer Herberge an einer Kutschenstation – diese befand sich im Zentrum von Oxford und war eine Stufe besser als die anderen – mietete Mina eine Privatkutsche, die sie nach Banbury brachte. Dort wurde ihr in der Gaststätte Fox and Geese der Weg zum Black Mixen Tump beschrieben und ein freundlicher Ratschlag vom Wirt gegeben. »Nach Einbruch der Dunkelheit würde ich den Hügel nicht mehr hochsteigen, wenn ich Sie wäre, Miss. Es ist nicht sicher – wenigstens nicht für anständige Leute.«
»Wieso denn nicht?«, fragte Wilhelmina.
»Seltsame Dinge passieren da oben.« Er blickte finster, legte einen Finger an die Nase und fügte hinzu: »Mehr muss man dazu nicht sagen.«
Mina dankte ihm für seinen Rat, nahm ein leichtes Abendessen zu sich und ging früh schlafen. Am nächsten Morgen versuchte sie, eine Kutsche zu mieten, die sie zum Hügel bringen sollte. Aber dies misslang, und so brach sie zu Fuß auf, ausgerüstet mit der von ihr gezeichneten Karte und einem Lunchpaket vom Schankwirt. Dank des gut markierten Pfades und des neuen, hellen Tages hatte sie keinerlei Probleme, den Weg zu finden.
Als sie den Hügel zum ersten Mal sah, wirkte er wie eine schattenhafte, ungeschlachte Masse, die sich vor dem gelben Himmel abhob: Der Ort bekam dadurch eine unheimliche, bedrohliche Form, was Mina dazu brachte, plötzlich anzuhalten. Sie stand nur da auf dem Bauernpfad und starrte auf den schrecklichen Black Mixen wie auf eine Geistererscheinung. Seine Konturen waren so unnatürlich perfekt – mit ihren glatten, sich verjüngenden Flanken und der vollkommen flachen Kuppe, die von drei alten Eichen überragt wurde, die sich im Laufe der Zeit verbogen hatten und knorrig geworden waren: Irgendetwas an dieser Form deutete auf finstere Riten und unaussprechliche Praktiken hin. Trotz des schönen Sonnenlichts, das an diesem Nachmittag ringsum herrschte, schien der Hügel selbst in einen immerwährenden Schatten, in ewiges Gegrübel und Unheil eingetaucht zu sein.
Mina holte aus einer Tasche ihre Ley-Lampe heraus. Sie hielt sie hoch, als ob sie eine Taschenlampe wäre und der Black Mixen eine Dunkelheit, die beleuchtet werden musste. Das Instrument zeigte keinerlei Anzeichen von Aktivität; und daher steckte Mina es wieder ein. Sie fand einen trockenen Platz unter einem Baum, um sich dorthinzusetzen und die Füße zu entlasten. Es war nicht zu erkennen, was sie auf der anderen Seite finden würde; und so war es am besten, dass sie sich ausruhte, solange sie es konnte. Sie öffnete das Stück Tuch, in dem sich ihr Essen befand, und begann, das Schwarzbrot und die dicken hellen Käsescheiben zu verzehren, die der Gastwirt ihr mitgegeben hatte. Danach schälte sie das gekochte Ei und nahm ein Stück von der Schweinefleischpastete; zudem hatte sie eine Flasche Dünnbier und einen Apfel. Sie aß langsam, während der Nachmittag um sie herum dahinschwand. Anschließend nahm sie, gut gestärkt durch das Mahl, den Angriff auf den Black Mixen Tump wieder auf.
Als sie den Fuß des Hügels erreichte, sah sie einen schmalen Pfad, der sich an einer Flanke nach oben wand, und stieg auf ihm zur Kuppe. Der Weg war steil, doch sie gelangte in kurzer Zeit nach oben und legte dort einen Moment lang eine Pause ein, um Luft zu holen. Das hohe Plateau gewährte eine freie Sicht auf die Landschaft ringsum. Wilhelmina spazierte um die
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