Die Seelenquelle
ganze Kuppe herum, sah jedoch niemanden. Umso besser , dachte sie. Sie wollte kein Publikum haben, wenn sie nun auf dem Hügel mit dem Ley-Reisen experimentieren würde.
Sie nahm abermals die Ley-Lampe heraus: immer noch keine Aktivität. Daher führte sie eine genauere Untersuchung ihrer Umgebung durch. Dies war rasch erledigt. Denn außer den drei alten Eichen – so faszinierend sie auch waren – gab es nicht viel zu sehen: abgesehen von einem einzelnen Stein, den sie, eingebettet im Rasen, in der Nähe der Hügelmitte fand. Er war breit und flach wie ein Pflasterstein aus irgendeinem Garten, und es gab überhaupt nichts Bemerkenswertes an ihm. Als es kurz vor dem Anbruch der Abenddämmerung war, entschied Mina, sich hinzusetzen und einfach darauf zu warten, ob irgendetwas geschehen würde.
Mit angezogenen Beinen – das Kinn ruhte auf ihren Knien – saß sie nun da und schloss ihre Augen. Da sie müde von ihrem langen Spaziergang war, schlief sie bald ein. Unzusammenhängende und verstörende Traumfragmente huschten durch ihr Unterbewusstsein. Mit einem Zucken erwachte sie – aufgeschreckt durch den Klang von rauem Gelächter. Sie schaute um sich und sah, dass die Sonne untergegangen und der Himmel über ihr voller kreisender Saatkrähen war, deren Gekreische das geisterhafte Lachen in ihrem Traum hervorgerufen hatte. Durch das Sitzen auf dem Stein war sie ganz steif geworden, und daher streckte sie ihre Gliedmaßen und stand wieder auf. Augenblicklich bemerkte sie eine Wärme, die von ihrer Tasche ausstrahlte. Sie nahm die Ley-Lampe heraus, die sich nicht nur warm anfühlte – auch die kleinen blauen Lichter in der filigranen Metallschale strahlten allesamt.
Bei ihrer ursprünglichen Untersuchung der Hügelkuppe hatte Wilhelmina nirgendwo einen Hinweis auf eine Ley-Linie entdeckt. Nicht nur das: Es schien dort keinen ausreichenden Platz für eine Ley-Linie irgendwelcher Länge zu geben. Doch die blauen Lichter glühten, und sie logen nicht. Und so begann sie, mit vorgehaltener Lampe langsam zu gehen – erst in die eine Richtung, dann in eine andere – und die Lichter zu beobachten. Schnell bemerkte sie, dass die kleinen blauen Blinker heller leuchteten, wenn sie sich dem Zentrum des Hügels näherte, und gedämpfter waren, wenn sie sich davon fortbewegte. Am stärksten strahlten die Lichter, wenn sie direkt auf dem flachen Markierungsstein stand.
»Das ist es«, murmelte sie. »Was jetzt?« Wie durchquerte man einen Ley, der keine Linie, sondern ein Punkt war?
Während sie darüber nachdachte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung und schaute sich um. Sie erblickte zwei dunkle Gestalten, die über die flache Ebene der Hügelkuppe auf sie zurannten. Die beiden wurden durch die Bäume abgeschirmt, bis sie fast bei Mina waren. Und so konnte sie nur einen flüchtigen Blick auf die zwei werfen, doch es genügte, um zu wissen, dass sie hinter ihr her waren.
Blitzschnell steckte sie die Ley-Lampe ein, sodass die Vorrichtung nicht mehr zu sehen war, und wandte sich ihren Verfolgern zu.
»He!«, rief derjenige, der ihr am nächsten war. »Genau dort stehen bleiben! Beweg keinen einzigen Muskel, Schätzken!«
Wilhelmina spürte eine plötzliche Woge von Energie, die um sie herum aufblitzte. Die Haare auf ihren Armen und im Nacken richteten sich auf. Sie spürte auf ihrer Haut ein Prickeln und ein schwaches elektrostatisches Knistern um ihre Fußknöchel herum.
Die Männer hasteten näher. Sie trugen lange dunkle Mäntel und breitkrempige Hüte, ihre Gesichter waren grimmig und entschlossen. Mit raschen Schritten näherten sie sich ihr. Einer von ihnen zog eine Pistole. »Hände hoch, Mädel!«, befahl er.
Sein Gefährte streckte eine Hand aus, packte seinen Arm und wirbelte den Mann herum. »Sag ihr so was nicht!«, schrie er. »Das löst es doch aus!«
Doch es war bereits zu spät. Beim Anblick der Schusswaffe hatte Wilhelmina automatisch ihre Hände gehoben. Die aufgestaute Energie, die um sie herumströmte, erzeugte ein Prickeln an ihren Fingern. Sie hob ihre Arme noch höher; die Luft wurde nebelhaft; und sie sah die Fassungslosigkeit, die sich in den Gesichtern der Männer abzeichnete. Einer von ihnen rief etwas, doch seine Wörter gingen im Kreischen des Sturmes unter, der plötzlich um sie herum wirbelte.
Die Welt wurde verschwommen, und vor ihren Augen begann alles zu zittern. Mina wurde eingehüllt von einem flimmernden, glühenden Lichthof aus hochenergetischen Photonen: ein
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