Die Seelenquelle
sich sein Gesicht auf, und er fragte: »Haben Sie jemals vom Omega-Punkt gehört?«
»Ich denke nicht«, antwortete Cass. Sie durchforstete ihr Gedächtnis, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein.«
»Der Omega-Punkt wird als das Ende der Zeit und der Beginn der Ewigkeit begriffen: der Punkt, an dem der Zweck des Universums schlussendlich und vollkommen erfüllt ist. Wenn das Universum den Punkt erreicht, an dem mehr Menschen sich die Vereinigung, Harmonie und Erfüllung wünschen, die vom Schöpfer beabsichtigt wurden, dann wird, sozusagen, die Waage sich zur anderen Seite neigen, und der Kosmos wird sich auf den Omega-Punkt zubewegen, das heißt, seiner letzten Vollendung. Das Universum wird sich verwandeln in eine unzerstörbare, immerwährende Wirklichkeit von allerhöchster Güte.«
»Mit anderen Worten – in den Himmel«, folgerte Cass.
»Ja, aber das ist kein anderes Reich und keine andere Welt«, verbesserte Mrs Peelstick sie. »Umgestaltet werden diese Welt, dieses Universum: der Neue Himmel und die Neue Erde. Es wird ein Ort sein, wo Gottes Liebe und Güte auf ewig gefeiert wird – wo wir leben und arbeiten werden, um das volle Potenzial zu realisieren, für das die Menschheit erschaffen wurde.«
»Das worin besteht?«, fragte Cass, die sich nur zu gut bewusst war, dass sie es wieder geschafft hatte, sarkastisch zu klingen.
Mrs Peelstick zeigte erneut ihren verwunderten Blick, als ob sie fragen würde: Wissen Sie das denn nicht?
»Ich versuche nicht, kompliziert zu sein«, platzte es aus Cass heraus. »Ich würde nur wirklich gern Ihre Theorie hören.«
»Die Bestimmung der Menschen«, erwiderte Mrs Peel, »ist die Beherrschung des Kosmos im Dienste des Ziels, neue Erfahrungen von Güte, Schönheit und Wahrheit für alle Lebewesen zu kreieren.«
»Und«, fügte Brendan rasch hinzu, »diese Werte im gesamten Rest des Universums zu verbreiten. Wie Sie sehen, ist das Universum, so wie es jetzt existiert, nur die Phase eins, wie man sagen könnte: Es ist der Ort, wo lebendige menschliche Seelen erzeugt werden und die Bedingungen von Bewusstsein und Eigenständigkeit erlernen. Doch die allerletzte Erfüllung der so erzeugten Lebewesen wird nur in der nächsten Phase der Schöpfung erfolgen – eine Verwandlung, die wir uns kaum vorstellen können.«
Cass schüttelte den Kopf. Offensichtlich war sie in tiefes Wasser geraten. Aber was hatte irgendetwas davon mit interdimensionalem Reisen zu tun oder, nicht zu vergessen, mit ihr?
»Die große Suche nach der Meisterkarte ist bloß der Anfang«, sagte Mrs Peelstick. »Denn es gibt noch so viel mehr.«
»Die Meisterkarte?«, wiederholte Cass verwundert.
»Hat das denn niemand erwähnt?«, fragte Brendan.
Cass schüttelte den Kopf. »Nicht ein einziges Mal.«
»Nun, dann werde ich Ihnen eine Geschichte erzählen, oder? Vor vielen Jahren gab es einen Mann namens Arthur Flinders-Petrie …«
Mrs Peelstick hob eine Hand. »Bitte, verschonen Sie das arme Mädchen damit.«
»Mrs Peelstick hat das schon mehrmals gehört«, teilte Brendan der Besucherin mit.
»Ja, und ich brauch das jetzt nicht schon wieder zu hören.« Sie schenkte den anderen ein heiteres Lächeln. »Wenn Sie beide mich nun entschuldigen; ich werde ein paar Sachen beim Lebensmittelladen besorgen. Und wenn Sie von mir einen Rat annehmen wollen – gehen Sie nach draußen und genießen Sie den wunderschönen Tag. Cass hat noch nie Damaskus gesehen. Brendan, warum führen Sie sie nicht in der Altstadt herum?«
»Das ist eine glänzende Idee, Rosemary. Genau das werde ich machen.«
»Gut.« Rosemary erhob sich. »Und Brendan, erschöpfen Sie sie nicht mit Ihrem Geschwafel – Sie wissen ja selbst, wie Sie sind – und versuchen Sie, nicht zu spät zurückzukommen. Ich bereite ein hübsches Abendessen zu; bei Ihrer Rückkehr wird es fertig sein.«
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
D ie Reise zum Black Mixen Tump erfüllte Charles Flinders-Petrie stets mit Schrecken. Zwar sahen die sich sanft wellenden Hügel der Cotswolds harmlos genug aus, doch das Ziel warf ein Sargtuch über alles, was er auf der Strecke dorthin erblickte. Er spürte es jetzt schon – obwohl er den großen Hügel aus dem Fenster des Wagens noch nicht einmal sehen konnte. Doch es war da, dem Auge verborgen, und wartete auf ihn. Der Gedanke ließ sein Herz einen Schlag aussetzen.
Fast fünfzig Jahre waren vergangen, seit sein Vater Benedict ihn an den verruchten Hügel herangeführt hatte – und immer noch nahm dieses Ding
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