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Die Seelenquelle

Die Seelenquelle

Titel: Die Seelenquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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erleben, das Cass nur wenige Augenblick zuvor erlebt hatte, war von einer blinden, eiskalten Panik ausgelöscht worden, als die vielfältigen Himmelslichter sich verdunkelten, dahinschwanden und erstarben – vernichtet durch die unersättliche Finsternis. Und immer noch kam sie näher, schneller und schneller; sie gewann weiter an Stärke und Geschwindigkeit, während sie Masse von all den in sich aufgenommenen Sternensystemen einsammelte. Jetzt erfüllte Dunkelheit ihr Blickfeld, die sich von einem Ende des Sternensystems zum anderen erstreckte. Jetzt blitzten die näheren Sterne ein letztes Mal auf. Jetzt wurde die Sonne trüb, als ob sich ein Leichentuch um sie legen würde: Ihr Licht verdunkelte sich, bis es fort war und nur noch den Mond zurückließ. Dann jedoch schwand auch er dahin, verdunkelte sich – und war fort.
    Jetzt war nur noch eines übrig geblieben: Finsternis, die sichtbar geworden war.
    Cass schaute in die mahlende Leere hinein, und das Herz schrumpfte ihr in der Brust. Sie hörte ein Heulen – ein körperloser, betäubender, schriller Triumphschrei –, als die Finsternis herabschoss, um die Erde und alle Lebewesen zu verschlingen. Tod und Ausrottung – die Vernichtung der gesamten Biosphäre und alles, was darin existierte – erfolgten mit verblüffender Geschwindigkeit. Cass empfand eine unversiegbare, unergründliche Kälte, als das letzte Lebenslicht im gnadenlosen Abgrund verschwand.
    Sie erwachte – sie zitterte unter ihren Decken und litt schmerzhaft unter einer Traurigkeit, die dem Gram ähnelte. Das Herz, das immer noch rasend schlug, trommelte ihr in den Ohren. Sie sah sich im Raum um; sie war so in Schrecken versetzt, dass sie stoßweise atmete. Niemals zuvor war ihr eine solche Angst eingeflößt worden.
    Cass nahm die zerrissenen Fetzen ihres Muts zusammen und erhob sich. Hastig zog sie sich an und rannte über den Klosterhof zur Kapelle der Nonnen. Sie trat ein und eilte den Gang entlang zum vorderen Bereich des Altarraums. Dort zündete sie an dem kleinen Ständer eine Kerze an und setzte sich dann in die erste Bankreihe. Die Kerze hielt sie fest umklammert in den Händen, während sie betete – um Frieden, Schutz und um wer weiß nicht was –, bis es draußen genug hell wurde, um sehen zu können. Sie verließ die Kirche und schlich durch die Klosterpforte hinaus. Bald hallten die leeren Straßen vom Geräusch ihrer rennenden Füße wider, während sie zum Gebäude der Zetetischen Gesellschaft lief.
    Schließlich stand Cass auf der Eingangsstufe. Ungeduldig drückte sie die Türklingel, wartete zehn Sekunden und drückte erneut. Der Himmel zeigte eine rosige Farbschattierung, während die Sonne ihn erhellte; in den Straßen der Stadt war es immer noch still. Irgendwo krähte ein Hahn. Sie stand kurz davor, ein weiteres Mal die Klingel zu drücken, als sie gedämpfte Fußtritte im Vorraum hinter der Tür vernahm. Dann gab es ein Klicken, und die Tür öffnete sich.
    Rosemary Peelstick erschien in einem lavendelfarbenen Morgenmantel. »Sie müssen sehr erpicht darauf sein, nach Hause zu kommen.«
    »Ich gehe nicht nach Hause«, platzte es aus Cass heraus. »Ich bleibe.«
    Die alte Frau betrachtete sie einen Moment lang. »Etwas ist passiert, das Sie dazu gebracht hat, Ihre Meinung zu ändern, nicht wahr, meine Liebe?«
    Als Cass tief einatmete, um ihr eine Antwort geben zu können, hob Mrs Peelstick die Hand. »Nein, erzählen Sie es mir nicht. Zuerst werden wir ein wenig Tee und Toast zu uns nehmen. Und anschließend, wenn Brendan hergekommen ist, können wir uns alle zusammensetzen und darüber reden.« Sie führte Cass hinein, dann machte sie die Tür zu und verschloss sie. »Dann ersparen Sie es sich, alles zu wiederholen. Ist das in Ordnung? Kommen Sie mit in die Küche.«
    Sie tapste in ihren Pantoffeln davon. Cass, der aus jeder Pore Erleichterung herausströmte, eilte hinter ihr her.

NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL

    D ouglas erwachte beim Klang der Glocken, die zur Frühmette läuteten. Seine Glieder schmerzten von dem beengten Raum, in dem er die Nacht verbracht hatte – einem Beichtstuhl. Er streckte sich und spähte dann durch den Spalt zwischen dem Holzgestell und dem Vorhang hinaus. Als er sah, dass noch keine Gottesdienstbesucher die Kirche betreten hatten, weckte er rasch Snipe und schlich mit ihm hinaus. Obwohl die Sonne bald aufgehen würde und den Himmel bereits erhellte, waren die Straßen von Oxford immer noch im Dunkeln. An der Kreuzung döste der Büttel

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