Die Seelenquelle
sich nieder und begann, die blutigen Fellstücke zusammenzuziehen, die Gliedmaßen des Mannes geradezurichten und ihm das Blut aus dem Gesicht zu wischen.
Während Kit dies tat, bemerkte er, dass sich die anderen dicht um ihn versammelt hatten und ihm zusahen. Als er mit seiner Arbeit an dem Leichnam fertig war, erhob er sich und schritt zum Fuß der Kalksteinwand. Dort sammelte er geeignete Steine zusammen und legte sie um die Leiche herum. Als Nächstes holte er Steine, um mit ihnen den Toten zu bedecken. Dardok war der Erste, der die Idee aufgriff, sich auf diese Weise um die Leiche zu kümmern. Er ahmte Kit nach und half mit, einen Grabhügel zu errichten. Die anderen folgten rasch dem Beispiel von Großer Jäger; bald waren alle damit beschäftigt, Stein auf Stein zu legen, bis die Leiche des Jägers vollständig unter einem ordentlichen, länglichen Steinhaufen verdeckt war.
Kit stand da und hatte das Gefühl, dass er etwas tun oder sagen sollte, um den besonderen Anlass würdig zu begehen. Er hielt seine Hand über dem Grab, und nach einem Moment des Nachdenkens sprach er: »O Schöpfer von allem, was ist und sein wird, wir geben dir eine deiner Schöpfungen zurück. Sein Leben in dieser Welt wurde ihm genommen, doch wir bitten dich, ihn in das Leben jener Welt aufzunehmen, die kein Ende hat.«
Kits Erschütterung über das improvisierte Gebet war ebenso außergewöhnlich stark wie die Verwunderung seiner Gefährten. Was sie davon hielten, vermochte er nicht zu erraten. Die Stimmung und die Wörter, um sie auszudrücken, hatten sich einfach während des Sprechens herauskristallisiert. Dennoch – jetzt, wo sie gesagt worden waren, fühlte er, dass sie richtig waren: Sowohl die Wörter als auch die Stimmung schienen gut und angemessen zu sein. Er hob seinen Kopf und stieß ein zufriedenes Grunzen aus, das die Jäger nicht missverstehen konnten. Dann hob er den Speer des Toten auf und trat von dem Grabhügel weg. Er war bloß ein paar Schritte gegangen, als er Dardoks Hand auf seiner Schulter spürte. Die Geste ließ ihn stehen bleiben und hielt ihn einige Momente lang auf der Stelle fest, dann löste sich die Hand von ihm. Keine weitere Kommunikation fand statt, doch Kit verstand, was gemeint war. Eine tiefgreifende Verbindung war errichtet worden: In den Köpfen aller, die Kits improvisiertes Beerdigungsritual miterlebt hatten, war ein Verbindungsglied geschmiedet worden. Etwas Neues hatte sich ereignet, und es war nun anerkannt worden. Nichts anderes war erforderlich.
SIEBTES KAPITEL
L ady Haven Fayth war es gewohnt, auf dünnem Eis Schlittschuh zu laufen, was ihre Beziehung zum niederträchtigen Lord Burleigh betraf. Doch unter ihren Kufen begannen sich Risse des Zweifels zu bilden, und sie musste schneller und schneller eislaufen, um seinen rasenden Verdächtigungen immer eine Nasenlänge vorauszubleiben. Es zeichnete sich ab, dass sich ihre Wege trennen würden – das konnte sie spüren. Sie hätte gerne mehr von ihm über das Ley-Springen gelernt oder zumindest die Tiefe seines Wissens ausgelotet, um herauszufinden, wie weitreichend es war. Doch nun lief die Zeit gegen sie; und das Beste, was sie erhoffen konnte, war sicherzustellen, dass die unvermeidliche Trennung zu ihren Bedingungen erfolgte – und nicht zu seinen.
Sie überlegte, dass die gegenwärtige Ablenkung des Schwarzen Earl eine perfekte Möglichkeit für das Gelingen der eigenen Flucht sein könnte. Ihr Kidnapper und ehemaliger Mitverschwörer wurde gegenwärtig von dem Kit-Livingstone-Fall völlig in Beschlag genommen – und das nicht ohne guten Grund. In der Gewissheit, dass Kit zusammen mit Cosimo, Sir Henry und Giles sein Ende gefunden hatte und sein Leichnam in der Grabstätte des Hohen Priesters Anen eingeschlossen war, hatte Burleigh seine Reise nach Prag unternommen. Dort holte er die jüngste Version seiner Vorrichtung zum Aufspüren von Leys ab, und zwar direkt von der Werkbank des kaiserlichen Oberalchemisten Bazalgette. Das ausgeklügelte kleine Instrument war aus Messing hergestellt und hatte in etwa die Größe und Form eines Pflastersteins; aber das war auch schon ungefähr alles, was sie darüber wusste. Haven hatte es nur flüchtig und heimlich sehen können, denn Seine Lordschaft behielt es, so wie viele andere Dinge, nur für sich. Haven unterdrückte nun ein Lachen, als sie sich an Burleighs ungläubigen Gesichtsausdruck erinnerte, als er erfuhr, dass der für verstorben gehaltene Kit Livingstone –
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