Die Seelenquelle
den Atem raubte.
Knurrend und fauchend wirbelte die große Katze um sich herum und durchschnitt mit ihren Krallen die Luft. Dardok sprang zur Seite, sodass er gerade außerhalb ihrer Reichweite war, und stieß blitzschnell die Speerspitze in die Seite der Bestie. Die Großkatze brüllte voller Hass und Wut auf und drehte sich – diesmal aber nicht auf Dardok zu, sondern von ihm fort. Doch genau in diesem Moment sprang ein anderer aus der Gruppe herbei, um sich seine Waffe zurückzuholen. Karkas gewaltige Pranke traf den herannahenden Mann, zerriss seine Seite und hinterließ vier tiefe Schnittwunden, die sich quer über den Unterleib zogen.
Der unglückselige Jäger geriet durch den Hieb ins Taumeln und schaute an sich herab. Er sah, dass seine Kleidung aus Fellen zerfetzt war. Und dann rissen Muskelstränge auseinander, und aus der Wunde ergossen sich Blut und Eingeweide. Der Mann sackte zusammen, als ob er aus Papier wäre.
Dardok stieß einen Wutschrei aus, stürzte erneut vor und stach auf den riesigen muskulösen Nacken des Höhlenlöwen nieder. Er drückte die steinerne Klinge tief hinab ins Fleisch und sprang wieder fort. Die anderen Jäger führten ihre Scheinangriffe fort und achteten darauf, dass sie knapp außerhalb der Reichweite dieser mörderischen Krallen blieben. Jeder Stoß, Schnitt und Stich verursachte eine blutende Wunde. Sie alle führten dazu, dass der Schnee in einem großen Umkreis immer mehr rote Flecken bekam, während die Bestie bei ihren Versuchen, einen weiteren ihrer Peiniger zu packen, umherwirbelte und um sich schlug.
In der Zwischenzeit rannte Dardok zu dem verletzten Jäger und ergriff seinen Arm. Kit eilte herbei, um zu helfen, und gemeinsam zogen sie den Verwundeten aus der Gefahrenzone. Blut quoll aus seinen Verletzungen hervor, sein Gesicht war weiß, und seine Lippen waren blau und zitterten; sein ganzer Körper schüttelte sich. Kit beugte sich über ihn und ergriff seine Hand. Der Jäger, dessen Augen weit aufgerissen waren, seufzte und stöhnte auf, als ein Krampf ihn überfiel. Abrupt entspannte sich sein Körper, und Kit hielt nur noch die Hand eines Toten.
Hinter ihnen stieß der Höhlenlöwe ein markerschütterndes Jaulen aus. Er bäumte sich auf seinen Hinterbeinen auf, sodass er seine Angreifer überragte. Mit einer seiner mächtigen Tatzen führte er einen weiteren vergeblichen Schlag aus, dann drehte er sich um und wollte sich zurückziehen.
Doch die Jäger hielten sich bereit. Als die Großkatze herumwirbelte, um die Felsen wieder hochzuklettern und in den Schutz der Höhle zurückzukehren, stürzte der Jäger, der dem Tier am nächsten war, nach vorne. Er trieb die steinerne Spitze seines Speers tief in die Flanke des Löwen hinein, und zwar direkt hinter den Vorderbeinen. Die Großkatze brüllte auf und drehte sich um, dabei erhob sie sich ein wenig von der Hüfte an. Der Mann hielt den Speerschaft fest in Händen und trieb ihn noch tiefer ins Fleisch hinein. Während der Löwe mit den Krallen gegen die verhasste Waffe schlug, schoss von der anderen Seite ein zweiter Jäger mit seinem Speer herbei. Ein weiterer tat es ihm nach; und zu dritt hielten sie die sich windende Bestie auf der Stelle fest, als ein vierter Jäger sorgfältig zielte und seinen Speer in die kräftige Brust des Löwen stieß.
Die letzte Wunde war tödlich. Der Löwe brüllte ein letztes Mal auf, dann brachen seine Beine unter ihm weg. Der große Körper rollte auf die Seite, und mit einem langen, gurgelnden Seufzer verendete das Tier. Selbst tot bot es einen Anblick von ungeheurer Kraft und furchterregender Anmut. Dardok zog seinen Speer aus dem Kadaver und wischte die Steinspitze am blutigen Fell ab. Anschließend kniete er sich nieder und legte seine Hand auf den Kopf der Großkatze. Die anderen Jäger folgten hintereinander seinem Beispiel. Einen langen Augenblick blieben sie in dieser Haltung. Dann erhoben sie sich, ergriffen wieder ihre Speere und gingen fort, ohne zurückzublicken. Kit zögerte. Was war mit ihrem toten Kameraden, fragte er sich. Sie hatten dem toten Löwen einen Moment lang Respekt gezollt – warum nicht auch dem verstorbenen Angehörigen ihres Clans?
»Wartet!«, rief Kit ihnen hinterher. Sein Wort wurde nicht verstanden, doch es führte wie gewünscht dazu, dass sie stehen blieben. Er trat zu der geschundenen Leiche des armen Jägers und musste ein Gefühl der Übelkeit unterdrücken, das ihn beim Anblick der entsetzlich klaffenden Wunde befiel. Dann kniete er
Weitere Kostenlose Bücher