Die Seelenquelle
»Einerseits beharrt er darauf, dass Kit nichts Bedeutsames über die große Suche weiß, andererseits weigerte er sich, ihn einfach gehen zu lassen. Wir sind bereits viel länger in Prag geblieben als ursprünglich beabsichtigt, und es gibt gegenwärtig keinerlei Abreisepläne.«
»Burleigh ist nicht ganz ehrlich«, bemerkte Mina. »Zweifellos hat der Schock, Kit hier in Prag zu sehen, obschon er ihn für tot hielt – begraben in Ägypten –, sein Interesse neu erweckt: zumindest insofern, als er vermutet, dass Kit Beistand gehabt haben musste, um aus dem Grabmal zu fliehen.« Sie dachte einen Moment lang nach, bevor sie fragte: »Hat er irgendetwas darüber gesagt?«
»Er hat nichts Besonderes oder Bedeutsames zu diesem Punkt erwähnt. Die Tagelöhner Seiner Lordschaft haben dafür die Hauptlast seines Zorns ertragen müssen, und sie haben teuer für ihre Verfehlung bezahlt.« Havens Lippen kräuselten sich zu einem verschwörerischen Lächeln. »Nichtsdestoweniger haben sie unserem Anliegen geholfen – unwissentlich, wie gesagt werden muss –, indem sie die Fiktion aufrechterhalten haben, dass die Gefangenen im Grabmal waren, als sie das Wadi verließen. Ihnen irgendetwas mehr zuzugestehen, würde sogar noch größeren Beifall auf ihre jämmerlichen Köpfe herabbringen.«
»Die Armen«, sagte Wilhelmina ohne den geringsten Anflug von Mitleid.
»Nach Lage der Dinge ist Kit gegenwärtig das Objekt der Besessenheit des Earls. Ich vermute, dass die große Suche nicht vorangehen wird, bis Kit gefangen ist. Und was das betrifft, beabsichtigt unser Erzfeind, das Netz noch weiter zu werfen. Er hat vor herauszufinden, was Ihr über diese Angelegenheit wisst.« Lady Fayth trank einen Schluck Kaffee und betrachtete Wilhelmina in Erwartung einer Erwiderung.
Mina ging mit dieser Neuigkeit locker um. »Er greift nach Strohhalmen.« Einen Augenblick lang dachte sie nach. »Wie würde diese Befragung vonstattengehen?«
»Sehr gute Frage! Er hat mich überredet, dabei als Vermittlerin zu agieren.« Sie lächelte fröhlich. »Ich soll Euer Vertrauen gewinnen und Euch bewegen, dass Ihr Euch mir offenbart. Unter dem Vorwand einer Einladung zum Abendessen würde er Euch in das Gasthaus locken, Euch gefangen nehmen und bedrohen, damit Ihr Eure Geheimnisse enthüllt.«
Wilhelmina runzelte besorgt die Stirn.
»Natürlich versteht es sich von selbst«, beeilte sich Haven fortzufahren, »dass wir zwischen uns entscheiden müssen, was wir ihn wissen lassen wollen.«
»Dann müssen wir sehr sorgfältig darüber nachdenken, was wir ihm erzählen«, stimmte Wilhelmina zu. Sie griff nach der kleinen Zinnkanne. »Mehr Kaffee, Lady Fayth?«
Die junge Frau machte keinerlei Anstalten, ihre Tasse Mina entgegenzuhalten. »Ich vermute, er weiß, dass Ihr eine Ley-Reisende seid. Und ich habe keinen Zweifel, dass er vorhat, Euch etwas zuleide zu tun.«
Wilhelmina erwiderte fortlaufend Havens Blick. »Er wird mich erst fangen müssen.«
»Es wäre unklug, die Bedrohung zu verharmlosen. Lord Burleigh ist vollkommen dazu fähig, seine schändlichen Pläne zu realisieren, wie wir beide nur allzu gut wissen.« Lady Fayth nickte ihr ernst zu. »Bezüglich des Abendessens morgen Abend … Wagt nicht, auch nur einen Augenblick lang in Erwägung zu ziehen, tatsächlich hinzugehen.«
»Aber wenn ich ablehne«, entgegnete Mina, »würde ihn das nicht sogar noch entschlossener und argwöhnisch machen?«
»Vielleicht.« In Gedanken versunken, schürzte Haven ihre perfekten Lippen; sie schaute zum Fenster hinaus auf einen Mann, der einen Weidenkorb trug. »Warum geht Ihr nicht für ein paar Tage fort? Verlasst die Stadt, begebt Euch irgendwohin – egal, wo. Geht ihm vollständig aus dem Weg.«
»Ihr meint, ich soll fortlaufen.«
»Warum nicht? Ihr braucht doch nur ein paar Tage weg sein. Seine Lordschaft wird bald des Wartens überdrüssig werden und Prag verlassen. Ohne die Geschichte mit Kit wären wir eh schon längst abgereist.«
Wilhelmina dachte einen Augenblick nach. »Ich könnte fortgehen«, pflichtete sie bei. »Ich möchte schon seit einiger Zeit meine Rückkehr nach –«
»Erzählt es mir nicht«, fiel Haven ihr ins Wort. »Es ist für uns beide besser, wenn ich es nicht weiß, wohin Ihr geht. Ihr braucht nur irgendeine Entschuldigung vorbringen, und dann reist so bald wie möglich ab. Verlasst Prag sofort.«
Einen Moment lang betrachtete Wilhelmina ihre Mitverschwörerin, ohne etwas zu sagen. Sie vermochte nicht zu erkennen, ob
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