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Die Seelenquelle

Die Seelenquelle

Titel: Die Seelenquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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schien.
    »Guten Morgen, Bruder«, antwortete sie in dem derben Deutsch, das man im alten Prag sprach. Dann verneigte sie sich leicht vor ihm – so, wie sie es bei anderen Nonnen gesehen hatte, wenn sie einen Priester des Benediktinerordens ansprachen. »Ich suche nach jemandem, den sie Bruder Lazarus nennen.«
    »Dann ist Gott Ihnen freundlich gesonnen, Schwester.« Er bückte sich, um auf Kniehöhe den Schmutz von seiner Kutte abzuwischen. Anschließend richtete er sich wieder auf; der Scheitel seines Kopfes war nur in Höhe von Minas Schultern. »Sie haben ihn gefunden.«
    » Sie sind Bruder Lazarus?«, rief sie, wobei es ihr nicht gelang, den skeptischen Unterton ihrer Stimme zu unterdrücken. »Der Astronom?«
    Er lachte, und vor Verlegenheit wurde Wilhelmina ganz rot im Gesicht. »Warum?«, fragte er. »Ist es so schwierig, das zu glauben?«
    »O, es tut mir leid«, antwortete Mina rasch. »Ich habe Sie für einen Gärtner gehalten«, erklärte sie und wies auf die vielen Werkzeuge und Töpfe.
    Er schaute auf die Stelle, auf die sie gezeigt hatte. »Nun ja …« Er zuckte ein wenig mit den Schultern. »So etwas ist eine gute Grundlage für die Sterndeutung.« Er streckte seine muskulöse Hand aus und legte sie sanft auf ihren Ärmel. »Ein Astronom kann sein Handwerk nur nachts ausüben. Was soll er mit dem Rest seiner Zeit anfangen?«
    »Vergeben Sie mir, Bruder. Ich hatte nicht die Absicht, respektlos zu sein.«
    Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte er die Entschuldigung beiseite. »Jetzt, wo Sie Bruder Lazarus gefunden haben – was wollen Sie eigentlich von ihm?«
    »Ich suche nach der Begräbnisstätte von einem Ihrer Mitbrüder, einem Angehörigen des Benediktinerordens. Mir ist berichtet worden, dass er einst hier als Astronom gearbeitet hat und sein Grab in der Nähe ist. Können Sie mir sagen, wo es sich befindet?«
    »Vielleicht ja«, antwortete Bruder Lazarus, wandte sich um und nahm seine Arbeit wieder auf. »Wenn Sie mir seinen Namen verraten, kann ich Ihnen sagen, ob er auf dem Klostergelände begraben liegt.«
    »Sein Name ist Fra Giambattista.«
    Bei der Erwähnung dieses Namens hielt der Mönche in seiner Arbeit inne, richtete sich auf und blieb regungslos stehen. »Fra Giambattista Beccaria?«, fragte er nach, ohne sich umzudrehen.
    »Ja, das ist er.«
    »Es tut mir leid, Schwester«, sagte er und bückte sich abermals zu seinen Werkzeugen hinab. »Ihre Suche ist im Sand verlaufen. Sein Grab, wenn es überhaupt existiert, ist nicht hier … nicht in diesem Kloster.« Demonstrativ zeigte er, dass er wieder mit seiner Arbeit begann. »Ich wünsche Ihnen einen guten Tag. Und gute Reise.«
    Wilhelmina schürzte ihre Lippen; sie war beunruhigt über den raschen Wechsel im Verhalten des Mannes. Die bloße Erwähnung des Namens hatte eine abrupte und unangenehme Verwandlung in dem Mönch ausgelöst: Es war so, als hätte er ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen.
    »Guten Tag«, sagte sie leise. »Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.« Sie trat einen Schritt zurück. Doch als sie sich bereits anschickte, wieder hinabzusteigen, spürte sie, wie in ihrem Innern eine neue Willenskraft auftauchte: eine Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen – komme, was wolle. Zum Mindesten schuldete sie es sich selbst: Sie war so weit gekommen, und es wäre eine verdammte Schande, mit leeren Händen wegzugehen.
    Sofort blickte der Mönch, der immer noch auf seinen Knien lag, über die Schulter auf sie zurück. »Sie sind ja immer noch hier.«
    »So ist es.«
    »Warum?«
    »Ich glaube …«, begann sie und versuchte, die rechten Worte zu finden, »dass ich auf eine bessere Erklärung warte als die, die ich gerade gehört habe.«
    »Dann müssen Sie sich damit abfinden, dass Sie eine sehr lange Zeit warten werden«, verkündete er. »Es gibt keine andere Erklärung.«
    »Ich erlaube mir, Ihnen zu widersprechen; denn ich glaube, es gibt eine«, entgegnete sie – und noch als sie sprach, kam sie auf die Antwort.
    »O, wirklich!«, blaffte er; seine Stimme nahm einen barschen, offiziellen Tonfall an. »Wie Sie wissen, gibt es keine Notwendigkeit für Sie, ausgerechnet mich zu fragen.« Als sie zögerte, darauf etwas zu erwidern, fügte er hinzu: »Haben Sie nichts mehr zu sagen? Dann möchte ich Sie höflich bitten, sich zu entfernen.«
    »Es gibt kein Grab«, wagte Wilhelmina zu behaupten, »weil …« Sie straffte sich und schlug alle Vorsicht in den Wind. »Weil Sie selbst Giambattista

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