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Die Seelenquelle

Die Seelenquelle

Titel: Die Seelenquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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beobachten, wie im Westen die tiefstehende Sonne weiter unter die Linie der kargen Berge sank. Haven zitterte in der kalten, feuchten Luft, als die Nacht anbrach. Sie tröstete sich selbst mit dem Gedanken, dass sie bald wieder zu Hause – und damit im Trockenen und Warmen – sein würde.
    Als dann am Abend die Täler dunkler wurden und sich gespenstartige Dämpfe am Fluss unten entlangschlängelten, stand Haven auf und schritt vom Beginn des Leys an die Strecke behutsam ab. Abermals sammelte sie sich für den Sprung. Diesen brachte sie wie den ersten ohne übermäßige Beschwerden zustande, was sie als Zeichen dafür ansah, dass sie ihre Fähigkeiten vervollkommnete. Dieser Gedanke gefiel ihr und erfüllte sie mit Selbstvertrauen, als ein heftiger Platzregen ihr verkündete, dass sie in England angekommen war. Sie befand sich auf einer einsamen Hügelkuppe irgendwo in den Downs, dem Hügelland im Südosten.
    Als die Sicht besser wurde, erkannte sie die Umrisse der London Road, an deren Seiten sich gepflegte Gerstenfelder reihten. Sie erblickte strohgedeckte Bauernhäuser und eine Postkutsche, welche die lang ansteigenden Kreidehügel hochrumpelte. Haven nahm die Ansicht in sich auf, und ihr Herz machte einen Sprung. Sie hatte es geschafft! Ihr war es ganz alleine gelungen, die richtigen Wege nach Hause zu finden.
    Es war noch früh am Tag. Die Sonne stand jedoch schon hoch am Himmel, an dem sich nur ein paar Wolken zeigten; die Luft war sanft und mild. Haven legte eine kleine Pause ein, um Atem zu holen und so das aufkommende Übelkeitsgefühl zu überwinden. Sie sog die süße, frische Landluft in ihre Lungen hinein und blickte den grünen, sanften Abhang des Hügels hinab. Nun konnte sie weitere Wagen und einige Fußgänger auf der Straße unten sehen. Sobald sie sich wieder gefestigt fühlte, zog sie ihre Röcke hoch und eilte den Hügel hinunter. Sie wollte vorbeikommende Händler oder Bauern um eine Mitfahrgelegenheit bitten und war sich sicher, dass sie dabei bald Erfolg haben würde, und zwar am besten bei einer Kutsche, die in die Stadt fuhr.
    Doch letzten Endes musste sie sich mit einem Heuwagen, einem Ochsenkarren und einem von Kaltblütern gezogenen Brauereiwagen begnügen; und jedes dieser Gefährte war langsamer als das vorherige. Als Folge davon erreichte sie London erst bei Anbruch der Dunkelheit, wo sie sich unverzüglich auf den Weg zum Clarimond House machte, dem Stadthaus von Sir Henry Fayth. Wie ein Geist huschte sie durch die Straßen, die unregelmäßig von Fackeln beleuchtet wurden, und achtete darauf, sich stets im Schatten zu bewegen. Eine junge Frau, die nachts in der Dunkelheit alleine durch die Straßen der Stadt ging, forderte Unannehmlichkeiten heraus: Doch Haven Fayth war nicht so weit gekommen, nur um am Ende das Messer eines Straßenräubers zu spüren zu bekommen.
    Sie huschte entlang der Häuser, deren Fassaden direkt am breiten, gepflasterten Boulevard waren; und manchmal war sie ihnen so nah, dass sie mit ihrem Ellbogen die Türen streifte. Haven stieß einen erleichterten Seufzer aus, als schließlich das stattliche, aus Backstein erbaute Herrenhaus in Sicht kam. Ein paar letzte schnelle Schritte – und sie hatte die Eisenpforte passiert und befand sich in den Außenanlagen. Endlich war sie in Sicherheit! Sie eilte die Auffahrt entlang, hüpfte die Eingangsstufen hoch und klopfte stark gegen die Haustür. Beim zweiten Pochen öffnete sie sich langsam. Ein Diener, der notdürftig in einem schwarzen Gewand gekleidet war, ließ sich dazu herab, sie mit finsterer, ablehnender Miene anzublicken.
    »Seine Lordschaft empfängt keine Besucher«, teilte er ihr in einem Tonfall mit, der keinen Zweifel daran ließ, dass sie nicht willkommen war. Er machte Anstalten, die Tür wieder zu schließen.
    »Wisst Ihr denn nicht, wer ich bin, Villiers?«, fragte sie und legte ihre Hand an die Tür, bevor sie ganz geschlossen war.
    »Mylady?« Die Haustür öffnete sich erneut, diesmal wesentlich weiter; und der Diener holte eine Kerze hervor. »Lady Fayth!«, keuchte er auf, während er die Kerze hochhielt, um die Besucherin zu sehen. »Ihr hättet zuvor eine Nachricht von Eurer Ankunft schicken sollen.«
    »Soll ich die Nacht auf der Eingangsstufe verbringen?«
    »Es tut mir schrecklich leid, Mylady.« Er trat beiseite, verbeugte sich und geleitete sie in den Vorraum; die Tür schloss er fest hinter ihr zu. »Bitte vergebt mir. Wir haben niemanden erwartet. Wäre mir bekannt gewesen, dass Ihr

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