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Die Seelenquelle

Die Seelenquelle

Titel: Die Seelenquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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Diesmal war es ein trockenes Würgen, und Cass legte eine Hand gegen die nächstgelegene Wand, um sich abzustützen. Sie sog tiefe Atemzüge durch ihre Nase ein, bis die Übelkeit vorüberging – die ersetzt wurde durch einen Ausbruch von Freude darüber, dass sie ohne einen Führer und ohne Schwierigkeiten die Reise zwischen den Welten über die Coyote-Brücke erfolgreich gemeistert hatte. Warte nur, bis Dad davon hört! , dachte sie. Er wird so erstaunt sein. Sie wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und ging weiter.
    Der Moment ihres seligen Triumphes endete abrupt, als sie aus der Mündung des Canyons trat und mit dem Anblick eines ausladenden grünen Tales konfrontiert wurde, durch das ein breiter Fluss in anmutigen Bögen strömte und über dem der Himmel mit kleinen weißen, bauschigen Wolken gesprenkelt war. Eine Reihe stattlicher Pappeln erhob sich über der fetten braunen Erde frisch gepflügter Felder auf den Hügeln beiderseits des Flusses. Sie starrte erstaunt auf die freundliche ländliche Szenerie, und ihr Herz krampfte sich in ihrer Brust.
    Wo auch immer sie war – es war definitiv nicht Arizona. In ihrem Hirn trommelte ein einziger Gedanke: Was nun? Was nun? Was nun?
    Als Erstes verspürte Cass in sich den Drang, sich unverzüglich hinzusetzen, die Knie bis zur Brust anzuziehen, die Arme um die Beine zu legen, die Augen vor diesem Anblick zu schließen und sich alles fortzuwünschen – so wie man es bei einem gewöhnlichen Albtraum machen würde. Ihr zweiter Gedanke war, ganz ruhig und sorgfältig ihre Optionen aufzuzählen und einzustufen. Sie tat weder das eine noch das andere. Stattdessen gab sie einem weitaus instinktiveren Antrieb nach, drehte einfach um und flüchtete auf dem Weg, den sie gekommen war: Sie flitzte erneut in den Canyon zurück. Sie rannte die Sandsteinwände entlang – das Herz schlug ihr bis zum Halse – und hoffte gegen jede Hoffnung, dass die Coyote-Brücke immer noch zugänglich war.
    Doch bevor sie auch nur in fliegender Hast ein Dutzend Schritte gelaufen war, verschleierte sich ihr Blick, und eine heiße Böe fegte auf sie herab und trieb sie vorwärts. Der Boden gab unter ihr nach, und sie taumelte einen halben Schritt nach unten, geriet ins Stolpern und stürzte kopfüber nach vorn. Die Kamera krachte ihr gegen die Stirn, was ihr das Wasser in die Augen trieb; dann landete sie auf Knien und Ellbogen, rollte unkontrolliert über den Boden und wirbelte eine Staubwolke auf.
    Wie zuvor war das Licht dämmerig, das von oben herabschimmerte. Die Luft fühlte sich kühl auf ihrer Haut an, und sie seufzte erleichtert auf beim Anblick der vertrauten Sandsteinwände des Geheimen Canyons. Doch als sich ihre Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten und sie sich umschaute, stellten sich die Wände als getünchter Verputz heraus, und der Pfad war eine Gasse mit Kopfsteinpflaster. Direkt vor ihr öffnete sich ein niedriger, schmaler Bogengang zu einem helleren, von der Sonne beleuchteten Weg hin.
    »Oh, großartig«, murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Wo bin ich denn jetzt?«
    Dieses Mal war sie entschlossen, sich nicht der Panik hinzugeben, sondern diesen zugegebenermaßen herben Rückschlag auf eine ruhige, rationale und wissenschaftliche Weise anzugehen. Cass rappelte sich auf, klopfte den Staub von ihrer Kleidung und ging auf den Bogengang zu. Zur Beruhigung atmete sie tief ein und schritt hindurch. Eine weiße Sonne loderte an einem wolkenlosen Himmel von intensivem Blau und brannte auf eine Straße herab, die von Säulenruinen gesäumt und von winzigen Läden begrenzt wurde, die durch farbenprächtig gestreifte Markisen auffielen. Direkt vor Cass befand sich eine gepflasterte Durchgangsstraße, die so gerade wie eine Richtschnur war und von einem Respekt einflößenden Heer von Straßenhändlern – die von Wagen, Buden und Karren ihre Waren anboten – so eingeengt wurde, dass man sie kaum passieren konnte.
    Cass stand am Eingang zur Gasse und starrte die Straße hinab. Die Leute bewegten sich scharenweise zwischen den Verkäufern und untersuchten die Waren; sie feilschten, kauften und brachten ihre Erwerbungen fort. Alle trugen wallende Kleidungsstücke. Die Frauen waren in langen Gewändern gekleidet, die vom Kopf bis zu den Fersen reichten und schwarz, braun oder blau-weiß gestreift waren. Die Männer trugen schlabbrige gestreifte Hosen, die an den Beinen sackartig ausgebeult waren und an den Knöcheln eng anlagen, schlaffe weiße Hemden und kurze

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