Die Seelenquelle
Augenblick später mit einem dicken gelben Umschlag zurück. »Se sind ’ne vom Cosimo?«
»Ja, das denke ich schon.«
»Wie heißen Se denn mit janzem Namen?«
»Wilhelmina Klug«, antwortete Mina und buchstabierte anschließend ihren Nachnamen, um ein Missverständnis auszuschließen.
Molly beäugte die Schrift auf dem Umschlag und reichte ihn dann Mina, die ihr dankte und nach draußen ging. Sie setzte sich abermals auf die Bank und riss vorsichtig den Umschlag auf. Innen drin war ein einzelnes, straff gefaltetes Blatt, das mit einem schmierigen Stift beschrieben war. Sie klappte es auf und fand eine Handvoll Shillinge, zwei Guineen und eine große Fünf-Pfund-Silbermünze. Sie nahm das Geld in die Hand und überflog rasch die Notiz.
Dort stand:
Meine liebe Wilhelmina, ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie verwirrt und verängstigt Sie sein müssen. Doch schöpfen Sie Mut aus dem Wissen, dass wir Sie erwarten. Ich bitte Sie eindringlich, hierzubleiben. Nehmen Sie auf meine Rechnung ein Zimmer im Old Ship , und bleiben Sie in Sefton, bis wir zu Ihnen kommen. Kit ist bei mir und übermittelt Ihnen Grüße.
Mit den besten Empfehlungen
Cosimo Livingstone
Sie schob das Geld in ihre Tasche und las die Mitteilung erneut, dann drehte sie das Blatt um. Auf der Rückseite war in einer Ecke des Blattes irgendeine Liste hastig hingekritzelt worden – als hätte jemand ganz schnell ein paar Ideen notiert. Es gab sechs einzelne Posten, von denen drei allerdings durchgestrichen waren. Die sechs lauteten: Mansell Gamage, Sefton-on-Sea, Wern Derries, Much Markle Crosses, Black Mixen Tump und Capel-y-Fin . Es waren Namen von Orten – es handelte sich hierbei um merkwürdige, altertümliche Wörter –; und Wilhelmina hatte sicherlich von keinem zuvor etwas gehört. Die ersten drei auf der Liste waren durchgestrichen worden: Offenkundig waren sie vom Schreiber dieser Liste in Betracht gezogen – aus welchen Gründen und für welche Zwecke auch immer er sie für geeignet gehalten hatte – und dann verworfen worden. Aber warum? Während sie noch über die Frage nachdachte, kam ihr eine mögliche Antwort in den Sinn: Wenn Kit und sein Urgroßvater nach ihr suchten und augenscheinlich Botschaften für sie an geeigneten Stellen hinterließen, dann könnte dies eine Liste solcher Orte sein. Ihre Auffassung wurde durch die Einbeziehung von Sefton erhärtet. Die drei durchgekreuzten Namen waren Plätze, die sie bereits aufgesucht und wo sie Botschaften hinterlassen hatten. Die letzten drei auf der Liste waren dann die nächsten Orte, zu denen sie gehen wollten.
Der Gedanke, dass die beiden sich um sie sorgten und nach ihr suchten, ließ sie lächeln. Gott segne sie , dachte Mina. Doch die zwei konnten nicht wissen, wozu sie mittlerweile in der Lage war, seitdem sie und Kit getrennt worden waren. Die Situation hatte sich geändert, und sie musste gewiss nicht gerettet werden.
Mina wandte sich abermals dem Brief und der Liste zu und bemerkte noch etwas anderes: Neben drei Ortsnamen befand sich ein winziges Gleichheitszeichen – ein einfaches »=«, wie man es in mathematischen Gleichungen vorfand –, das mit einem dünneren Stift geschrieben war, so wie man vielleicht rasch ein paar Gedankengänge zu Papier brachte. Wenn man diese Zusätze mitberücksichtigte, las sich die Liste wie folgt: Mansell Gamage = China … Wern Derries = Irland … Black Mixen Tump = Ägypten …
»Das ist ja äußerst interessant«, sagte sie zu sich selbst und steckte die Liste weg. Sie erhob sich von der Bank, ging zum Old Ship zurück und fragte Molly, ob es vielleicht einen Wagen oder eine Kutsche gab, die sie mieten konnte, um sie nach London zu bringen. »Es darf alles Mögliche sein – wirklich«, fügte sie hinzu. »Das ist mir egal.«
»Die Postkutsche kommt um sechs hier durch«, antwortete die Barkellnerin. »Se geht von Plymouth nach London. Se hält hier, damit der Fahrer sich die Kehle anfeuchten kann. Is’ morgen in London.«
»Großartig!«, rief Wilhelmina. »Ich werde draußen warten.«
»Wie Se wollen, M’lady«, erklärte Molly und setzte ihre Arbeit fort, indem sie saubere Biergläser für die Abendgäste ordentlich aufstellte.
Mina kehrte zu der Bank in der Sonne zurück, um dort auf ihre Transportmöglichkeit zu warten und zu überlegen, wie sie ihre neuen Informationen am besten nutzen konnte. Als Hufgetrappel und hochgewirbelte Staubwolken die Ankunft der Postkutsche ankündigten, hatte sich ein neuer Plan in
Weitere Kostenlose Bücher