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Die Seelenquelle

Die Seelenquelle

Titel: Die Seelenquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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entfernt war ein Segelschoner mit hohen Masten in der Werft angelegt worden, und ein weiterer lag im Hafen vor Anker. Ein paar kleinere Fischerboote befuhren das Gewässer weiter draußen und schaukelten in der sanften Dünung; und Möwen erfüllten die milde, salzige Luft mit ihrem schrillen Geplapper.
    Augenblicklich kam Mina der Gedanke, dass der Sprung schiefgelaufen war. Denn sie hatte erwartet, mit dem böhmischen Ley verbunden zu werden; doch dieser Ort hier war definitiv nicht Böhmen. Sie zog ihre Ley-Lampe aus der Tasche und entdeckte nur ein ganz schwaches Schimmern von Licht: ein Anzeichen dafür, dass die Ley-Aktivität tatsächlich im Abnehmen begriffen war. Am Himmel stand die Sonne hoch, also gab es noch einige Stunden, die sie totschlagen musste, bevor sie ihre Reise fortsetzen konnte. In der Zwischenzeit könnte sie zumindest herausfinden, in welcher Zeit und an welchem Ort sie angekommen war, und dann eine Notiz zur späteren Verwendung machen. Sie betrat die Straße und spazierte das Hafenviertel entlang. Dabei bemühte sie sich, in ihrer neuen Kleidung unauffällig zu erscheinen, und sah sich aufmerksam nach Hinweisen um, die ihr helfen könnten, die Zeit und den Ort zu bestimmen.
    Entlang der Werft waren die Lagerhäuser und Geschäfte geöffnet; entweder erhielten oder verschickten sie Fracht in Form von Fässern, Kisten und Bündeln, die in Sackleinen und Hanf gebunden waren: All das wurde auf die eine oder andere Weise von Hafenarbeitern in kurzen Hosen und langen, schlabbrigen Hemden getragen. Und jeder, den sie sah, hatte eine Kopfbedeckung. Die Männer trugen entweder formlose Strickmützen, Strohhüte oder Filzkonstruktionen mit runder Hutkrone und breiten Krempen. Die wenigen Frauen, die sie erblickte, hatten sich Hauben aufgesetzt. Außerdem besaßen sie Umhänge und Schals, die sie sich entweder um ihre Schultern oder um ihre Hüften gebunden hatten. Und alle trugen lange Röcke und Blusen mit runden Halsausschnitten und kurzen Ärmeln. Wilhelmina zog ihren blauen Pashmina aus der Tasche. Wenn M&S nur Hauben in seiner neuen Kollektion hätte, würde ich hier passend gekleidet sein , sinnierte Mina und drapierte den Schal über ihren Kopf und die Schultern. Dann ging sie weiter gemütlich am Hafen entlang und ertappte sich bald dabei, wie sie die frische Luft und die entspannte, friedliche Atmosphäre des kleinen Fischerdorfs genoss – eine willkommene Erleichterung nach dem modernen London.
    Während sie so dahinschlenderte, wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie diesen Ort kannte. Obschon sie sich sicher war, dass sie ihn niemals zuvor gesehen oder gar ihren Fuß in dieses Dörfchen gesetzt hatte, gab es etwas an ihm, das ihr vage vertraut vorkam – etwas, das sich ihrer Fähigkeit entzog, Dinge genau zu bestimmen, jedoch in ihrem Bewusstsein verharrte. Was war es nur?
    »Kommen Se von ’en Karibischen?«
    Die Stimme riss Mina aus ihren Tagträumen. Sie wirbelte herum und sah, wie ein etwa zehnjähriges Mädchen mit schmutzigem Gesicht sie mit einem wachen, leicht missbilligenden Gesichtsausdruck beobachtete.
    »Entschuldigung?«
    »Se sind von ’en Karibischen, nich’ wah’?«
    »Du sprichst Englisch?«, fragte Wilhelmina vorsichtshalber nach.
    »Jau«, bekräftigte das Mädchen. »Hier inne Gegend tun wir dat. Und sprecht Sie das Englisch der feinen Leute von ’en Karibischen?«
    »Woher weiß du, dass ich von den Karibischen Inseln bin?«, fragte Wilhelmina.
    »Et sind ihre Klamotten.« Das Mädchen hob eine dreckige Hand, streckte den mageren Zeigefinger aus und zeigte auf Wilhelminas Schal und Bluse. Seine eigene Kleidung war ungepflegt und schmutzig; die langen braunen Haare waren strähnig und offensichtlich seit einiger Zeit nicht mehr gebürstet worden. »So wat tragen wir hier inne Gegend nich’.«
    »Nein, ich vermute nicht«, stimmte Wilhelmina dem Mädchen zu und richtete ihr Augenmerk auf die Werft und das Hafenviertel. Mit der Hand vollführte sie eine weit ausholende Geste und fragte: »Wo bin ich hier eigentlich? Wie heißt dieser Ort?«
    »Dat is’ Sefton«, antwortete die Kleine.
    Das ist es! , fuhr es Mina durch den Kopf. Sefton! Das war der Name des Ortes, über den Kit ihr erzählt hatte: der Ort, zu dem er sie hatte bringen wollen, als sie getrennt worden waren bei jenem ersten, sich kulminierenden Sprung. Sie blickte in beiden Richtungen auf das Meeresufer und betrachtete mit ganz anderen Augen den Hafen und das Dorf. Das also war das kleine

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