die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
ist.”
„Vielleicht stimmt keine vollkommen.”
Marek blickte nach Westen. „Zeit, den Scheiterhaufen anzuzünden. Die Sonne geht unter.” Er nahm ihre Hand. „Bleibst du bei mir, nachdem ich verschwunden bin?”
Sie küsste ihn lang und süß, und als sie die Augen wieder öffnete, war er nicht mehr zu sehen.
Zusammen mit den meisten Dorfbewohnern machten sie sich auf den Weg zum Scheiterhaufen. Man hatte die obere Steinplatte entfernt und Etar hineingelegt. Wacholderzweige bedeckten und umgaben den Körper, zusammen mit dem tro ckenen Holz, das sie am Tag gesammelt hatten.
Die Menge wurde still. Ohne ein Wort senkte Coranna eine Fackel an das Fußende des Scheiterhaufens. Marek und Rhia taten von ihren Positionen aus das Gleiche. Das mit Ol getränkte Holz knackte und zischte, und die Hitze bildete eine Wand, die drohte, Rhia von den Füßen zu reißen. Sie trat von der Plattform zurück und beobachtete durch die Lücken im Scheiterhaufen, wie die Flammen sich zu Etars Körper fraßen.
Als das Feuer den Rand seiner Decke erreicht hatte, loderte eine große Stichflamme auf. Coranna hatte seine Kleider mit Meloxa getränkt, um das Feuer zu beschleunigen. Kleine Stofffetzen schwebten aufwärts, ehe sie in kleinen Ascheschauern zerbarsten.
Innerhalb von Augenblicken platzte Etars Haut auf, wurde schwarz und schälte sich von seinem Fleisch. Rhia wollte davonrennen vor dem Anblick und dem Gestank, der von den duftenden Wacholderzweigen kaum überdeckt wurde. Aber niemand sonst wandte sich ab, und niemand zeigte Ekel – nur Trauer -, also sah sie gemeinsam mit den anderen zu und ehrte Etars Leichnam in seinen letzten Augenblicken.
Der Abendwind wehte kräftig und trocken und nährte die Flammen. Endlich war der Körper nicht mehr als ein verkohltes Gerippe. Jedes Mal, wenn ein weiteres Gelenk zerfiel und der Körper sich regte, zuckte Rhia vor Schreck über die plötzliche Bewegung zusammen. Das Herz hämmerte ihr gegen die Rippen, derer sie sich mehr bewusst war als jemals zuvor. In ihr waren die gleichen Knochen, die dort in den Flammen zerbarsten und zerfielen.
Um die wenigen Reste, die von Etar verblieben – viele kleine Knochenreste zwischen verstreuter grauer Asche -, fiel das Feuer langsam zu Glut zusammen. Die Menge zerstreute sich. Die meisten von ihnen gingen zurück zur Lichtung, um in viel gedämpfterer Stimmung weiterzuessen und -zutrinken.
Rhia konnte sich nicht bewegen, geschweige denn essen und trinken. Coranna brachte einen Tonbehälter, der einer großen Vase mit einem Deckel glich. Sie setzte an, Rhia zu rufen, stockte aber, als sie ihr Gesicht sah. Stattdessen winkte sie Marek.
Rhia zwang ihre Füße, sich zu bewegen, und tat einen unsicheren Schritt. Ihr Magen drehte sich bei der Bewegung um, aber nichts konnte sie davon abhalten, ihre Pflicht zu erfüllen. Sie trat auf den Scheiterhaufen zu, dessen steinerne Plattform noch vor Hitze glühte, und stellte sich neben Coranna.
Die Krähenfrau hielt den Tonbehälter hoch. „Wir sammeln jetzt etwas Asche ein, und morgen früh, wenn die Steine abgekühlt sind, sammeln wir alles auf, was nicht weggeweht wurde.” Sie streckte den Behälter Richtung Scheiterhaufen. „Halte meinen Ärmel zurück, bitte.”
Rhia zog Corannas Ärmel fest an, sodass er nicht an den Steinen der Plattform Feuer fangen konnte. Mit dem Rand des Gefäßes und einem Stück Borke nahm die Krähe einen kleinen Haufen Asche auf. Dann hielt sie das Gefäß in beiden Händen und sprach ein kurzes Gebet.
Endlich richtete Coranna sich auf und seufzte. „Ich trinke jetzt etwas – oder vielleicht auch viel – auf Etars Wohl.” Sie berührte Rhias Wange. „Du solltest dich hinlegen.”
Sie wünschten ihr eine gute Nacht, aber als sie sich entfernt hatte, sagte Rhia zu Marek: „Ich kann jetzt nicht schlafen. Schließlich wissen wir immer noch nicht, warum Etar gestorben ist.”
Er nahm ihre Hand. „Rhia, deinem Gesicht nach zu urteilen kannst du kaum sprechen, geschweige denn einen mysteriösen Todesfall untersuchen.”
Sie musste sich eingestehen, dass er recht hatte. Die Geschehnisse der letzten Tage hatten ihr alle Energie geraubt. Die Schmerzen, die nach Etars Reise verschwunden waren, waren noch heftiger zurückgekehrt, als wären sie wütend über ihre Verbannung.
Sie ließ sich von Marek zurück zu seinem Haus führen. Sie gingen langsam, sodass Rhia den Weg sehen konnte.
Als sie zu Hause ankamen, sank sie auf den weichen Haufen aus Tierhäuten nieder,
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