die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
vermisste sie Areas. Sie hatten in dem Monat, der seit Mayras Beerdigung vergangen war, nur wenig Zeit miteinander verbracht. Wenn sie nicht gerade von Galen ausgebildet wurde, blieb Rhia nahe bei ihrem Zuhause, um mit der Farm und im Haushalt zu helfen, aber auch, um ihrem Vater in ihrer gemeinsamen Trauer beizustehen.
„Ein kurzer Spaziergang.” Sie blickte zu Galens Haus zup>rück, um sicherzugehen, dass er ihren Ungehorsam nicht beobachtete.
Sie folgten einem Pfad, der den Hügel hinabführte, bis zum Schafgatter. Ein zottiger schwarzhellbrauner Hund drückte sich unter dem Zaun hindurch und sprang auf sie zu, um sie zu begrüßen.
„Fili!”, rügte ihn Areas. Mit einer Reihe von Handbewegungen wies er den Hund an, zu seiner Herde zurückzukehren. Fili richtete sich aufmerksam auf und gehorchte.
„Das ist erstaunlich”, sagte Rhia. „Sie tut es, nur weil du es ihr gesagt hast. Unsere Jagdhunde brauchen einen guten Grund. Sie tun Dinge, weil sie sie tun wollen.”
„Fili ist eine Hütehündin, viel klüger als ein Jagdhund. Sie will, was ich will.”
„Hmm.” Alles in allem zog Rhia die Unabhängigkeit der Jagdhunde vor und fand, dass die Fähigkeit, Befehlen zu folgen, kaum etwas über die Intelligenz von Mensch oder Tier aussagte.
Sie vertrieb die trüben Gedanken. „War es bei dir auch so? Das Reisen?”
„Wie was?”
„Alles ist anders. Ich sehe mich um, und die Welt scheint mir weniger Bestand zu haben. Sie scheint weniger echt.”
„Das hegt daran, dass du jetzt von einer anderen Welt weißt, die wir mit den Augen nicht sehen können.”
„Aber das wusste ich doch schon. Man hat mir vom Ort der Geister erzählt, seit ich ein Kind war. Und ich habe daran geglaubt.”
„Glauben ist nicht das Gleiche, wie es selbst zu erleben.” Er legte seine Hand um ihre. Auch sie fühlte sich unwirklich an. „Genug Gerede von der Geisterwelt.”
Aber das war alles, worüber sie sprechen, worüber sie nachdenken wollte. Sie seufzte, was er für ein Zeichen ihres Begehrens hielt.
„Ich habe dich vermisst.” Er zog sie an sich und drückte seinen Mund auf ihren. Sie erwiderte den Kuss, aber zum ersten Mal waren ihre Gedanken nicht ganz davon verzehrt, ihn zu wollen. Ein Teil von ihr blieb an einem anderen Ort.
Areas bemerkte ihre Distanz nicht, oder wenn doch, versuchte er, sie zu überwinden, indem er Rhia fester an sich zog. Seine aufgestaute Leidenschaft verlangte nach Erlösung.
Er flüsterte gegen ihren Hals, und sein Atem war so heiß, dass er sie zum Zittern brachte. „Ich weiß, wohin wir gehen können.” Er streichelte ihre Hüfte.
Sie löste sich von ihm, ehe seine Finger in ihr Begehren wecken konnten. „Areas, das ist nicht richtig. Ich bin noch in Trauer.”
Er ließ sie los und wischte sich über das Gesicht, als wollte er seine Scham auslöschen. „Es tut mir leid, Rhia. Ich habe es vergessen.”
„Du hast vergessen, dass meine Mutter gestorben ist?” „Natürlich nicht. Aber ich vermisse dich. Selbst wenn ich dich sehe, ist es, als wärst du nicht wirklich hier.” Vorsichtig streckte er die Hand nach ihr aus, als könnte sie ihn verbrennen. „Liebst du mich noch?”
„Das tue ich, aber du kannst gerade nicht die wichtigste Sache in meinem Leben sein. Als du dich auf deine Weihung vorbereitet hast, habe ich dich monatelang nicht gesehen.”
„Ich habe mich nicht so verändert, wie du dich gerade veränderst.”
„Dann kannst du es nicht verstehen.”
„Hilf mir dabei. Hilf mir, es zu verstehen.” Er zog sie nah an sich, dieses Mal voller Zärtlichkeit statt Verlangen. Sie schmiegte die Wange gegen seine breite Brust und wünschte, sie könnte seine Bitte erfüllen. Doch auch sie selbst begriff die Verwandlung nicht, die gerade erst begonnen hatte. Sie wusste nur, dass sie, um eine Krähenfrau zu werden – um das Ende des Lebens zu bezeugen, zu teilen, mit ihm zu kommunizieren -, ihr altes Selbst sterben lassen musste, entweder Stück für Stück oder auf einmal. Was geboren werden würde, nachdem sie die Grenze des Todes überschritten hatte, war vielleicht eine Frau, die Areas niemals heben konnte.
Der mit Kleidern beladene Wagen drohte Rhia in die Hacken zu fahren, als sie ihn den Hügel hinab zum Fluss zerrte. Als noch die ganze Familie unter einem Dach gelebt hatte, hatte es ein Pony gebraucht, um die Last der Wäsche von fünf Personen zu ziehen, aber jetzt reichte selbst Rhias Kraft dafür aus.
Die Platanen hatten bereits fast alle Blätter
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