Die Seelenzauberin - 2
Keirdwyn zum Beispiel ist das Erbe der Geschlechter Keirdwyn, Abeja, Brusus und Tonado am stärksten, und es gibt schwächere Anteile von Skandir und Alkal. Alle Lyr lassen sich so darstellen, und damit wird das ganze Problem zu einer einfachen Mathematikaufgabe.«
»Einfach wohl nicht gerade«, murmelte der Erzprotektor.
Rommel errötete. »Ich bitte um Vergebung, ich …«
Stevan unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Das war als Kompliment gemeint, Remmel. Zehn Jahrhunderte genealogischer Aufzeichnungen zu durchforsten, das ist keine Kleinigkeit, erst recht nicht, sie in eine mehr oder weniger überschaubare mathematische Darstellung zu überführen. Glaubt Ihr denn, Ihr könntet uns einen von diesen … nun, wir werden uns vermutlich ein neues Wort dafür ausdenken müssen … einen Lyr finden, der ein ausgewogenes Erbgut hat? Bei dem alle sieben Geschlechter zu gleichen Teilen vertreten sind?«
»Oh, davon bin ich überzeugt. Wenn Magister Lazaroth mir hilft, die Nachricht an alle anderen Archivare weiterzuschicken, können wir unverzüglich mit der Arbeit beginnen. Wir finden vielleicht keine Abstammungslinie, bei der sich die Bestandteile so vollkommen harmonisch zusammenfügen, wie die Weissagung es gerne hätte, aber wir können sicherlich den am besten geeigneten Kandidaten ausfindig machen.« Er zögerte. »Das heißt, es wird natürlich eine Weile dauern …«
»Umso mehr Grund, sofort anzufangen.« Der Erzprotektor wandte sich an Lazaroth. »Ich bitte Euch, Archivar Rommel alle Unterstützung zu geben, die er braucht.«
»Gewiss.«
Keirdwyn sah seinen Feldmarschall an. »Ullar, Ihr seid heute so schweigsam. Habt Ihr nichts beizutragen?«
Der Soldat schnaubte. »Ich bin ein Mann des Krieges, kein Gaukler. Die Dichtkunst und ihre Feinheiten, ob prophetisch oder nicht, überlasse ich anderen.«
»Aber wenn wir eine Streitmacht ausschicken wollten, um diesen Thron zu bergen, sähe die Sache doch anders aus, nicht wahr?«
Der Feldmarschall überlegte und biss sich dabei auf die Unterlippe. Dabei sah er mit seinem rauen Stoppelbart und den harten, kalten Augen besonders wild und grausam aus. Endlich stand er ohne ein Wort auf und trat an den Wandtisch, auf dem mehrere Landkarten ausgebreitet waren. Rommel ahnte, was er vorhatte, und sammelte rasch seine Zeichnungen ein. Favias brachte gerade noch Feder und Tintenfass in Sicherheit. Schon wurde eine große Karte auf dem Tisch ausgerollt, und die am nächsten Sitzenden griffen spontan zu und hielten sie an den Ecken fest.
Alkal.
Jeder Berg und jedes Tal des abtrünnigen Protektorats war penibel verzeichnet, auch der Pass war da, den Rhys und Namanti ursprünglich hatten nehmen wollen. Noch hatte niemand Zeit gefunden, die Veränderungen einzutragen. Mit einem Schauder sah Kamala am Nordrand der Karte eine Hochebene, die von einer scharfen schwarzen Linie quer durchschnitten wurde: der Heilige Zorn. Sie fand es geradezu anstößig, dass ein derart mächtiger und böser Fluch auf einen einfachen Federstrich reduziert werden konnte.
Auch Anukyats Zitadelle mit ihren inneren und äußeren Schutzmauern war auf der Karte zu sehen. Demnach befand sie sich auf Meilen in jeder Richtung auf dem höchsten Punkt des bewohnbaren Geländes. Die unmittelbare Umgebung war nahezu frei von Bäumen und bot für Angreifer kaum Deckung. Auch das war der Karte zu entnehmen.
»Die Verteidigungsanlagen sind nicht mehr das, was sie einmal waren«, erklärte der Feldmarschall. »Aber die Festung war einst darauf ausgelegt, einer Belagerung zumindest so lange standzuhalten, bis von Süden Verstärkung einträfe. Dank des unwegsamen Geländes im Westen wäre Nachschub zumindest von Keirdwyn nicht leicht heranzuschaffen.« Er sah Kamala an. »Ihr könntet dort mit Zauberei nichts ausrichten?«
Sie war so überrascht, überhaupt zurate gezogen zu werden, dass es ihr zunächst die Sprache verschlug. »Nein. Zumindest nicht zuverlässig.«
Meister Favias schaltete sich ein: »Der Heilige Zorn hat seinen Einflussbereich geografisch erweitert. Vermutlich seit der Beschädigung des Speers.«
»Was bedeutet, dass sich das noch fortsetzen könnte«, stellte Ullar fest. »Es wäre also ein Fehler, sich auf Zauberei zu verlassen. Das ist nicht erfreulich, besonders, wenn es Winter wird.« Er schaute zu seinen Herrschern auf: »Wenn Ihr mir sagt, Ihr wollt eine Festung mitten in Alkal erobern, liefere ich Euch einen Plan. Wir müssten unsere Nachschublinien von Südwesten
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