Die Seelenzauberin - 2
Miene war gleichgültig, aber sie spürte, wie sich dahinter die Feindseligkeit staute. Er war nicht gewöhnt, mit einer Frau zu feilschen oder seine Gefühle zu verbergen; die Anspannung war ihm anzumerken. »Aber notfalls haben wir andere Frauen, die Eure Stelle einnehmen können.«
Um was zu tun? Um nach einer Macht zu greifen, die sich nur von einer Frau beherrschen lässt. Eine aberwitzige Vorstellung. Ihr Verstand schrie sie an, sich zu besinnen und den Schurken kurzerhand hinauszuwerfen. Vielleicht sollte man zudem unterwegs einen unverdächtigen Unfall arrangieren, um diesen Mann, der viel zu viel über ihr Privatleben wusste, für immer zum Schweigen zu bringen. Für eine derart verrückte Geschichte hätte er nichts Besseres verdient.
Aber wenn an all dem nun doch etwas dran wäre? , dachte sie. Wenn auch nur ein Wort von zwanzig wahr wäre, ließe das auf Geheimnisse schließen, die man lüften sollte. Ein lohnendes Risiko. Oder etwa nicht?
Sie musste die Wahrheit wissen.
Mit einem tiefen Atemzug wappnete sie sich für ihren womöglich letzten magischen Akt auf Erden. Mögen die Götter dir gnädig sein, wenn du mich belügst, Amalik. Falls du mir etwas vorgaukelst und ich deshalb die letzten Stunden meines Lebens vergeude, reiße ich dir alle Gliedmaßen einzeln aus.
Bündeln. Die Kräfte bündeln.
Sie tauchte hinab in die Tiefen, wo die letzten Reste ihres Athra flackerten, um ihrer sterbenden Seele einen kostbaren Funken Macht zu entringen. Die trennte sich nicht leicht davon; es wäre einfacher gewesen, sich mit der Hand zwischen die Rippen zu greifen und das Herz aus der Brust zu reißen, als jetzt dieses kleine Quäntchen Macht zu beschwören.
Aber Siderea war nicht mit Willensschwäche auf den Thron gelangt, und sie hatte sich durch Angst noch nie abhalten lassen, das Nötige zu tun. Sie zitterte am ganzen Körper, als sie sich auf die sterbende Flamme konzentrierte, und im Angesicht des nahenden Todes kroch ihr die Kälte ins Fleisch, aber sie verlor ihr Ziel nicht aus dem Blick. Und endlich hatte sie ihn abgetrennt, den einen kostbaren Tropfen Seelenkraft, und konnte ihn in die gewünschte Form bringen.
Mit größter Sorgfalt entwickelte sie einen Wahrheitserkennungszauber. Er musste vollkommen sein, ohne jeden Makel, denn einen zweiten Versuch würde es dieses Mal nicht geben.
Wie viel Lebenszeit hatte diese Anstrengung sie bereits gekostet? Sah der Tod ihr zu und lachte über ihre Verzweiflung? , dachte sie.
»Ihr habt mir viel von dieser Macht erzählt«, flüsterte sie rau, »Ihr habt mir Versprechungen gemacht und Gründe dafür angegeben … schwört Ihr vor den Göttern, dass Ihr in alledem die Wahrheit gesprochen habt?«
»Ja, edle Königin.« In seiner Stimme klang eine neue Schärfe mit. »Ich schwöre es bei den Göttern.«
Sie gab die Macht frei, damit sie wirken konnte, schloss die Augen und spürte, wie der Zauber den Raum erfüllte: wie er den Fremden prüfte, von seinem Wesen kostete. Hunger. Begehren. Ungeduld. Mächtige Gefühle wogten in seinem Inneren, wild und ungebärdig, seltsam unmenschlich in ihrer Färbung. Hass. Herrschsucht. Abgrundtiefe Verzweiflung. Äußerlich mochte er zivilisiert erscheinen, doch auf dem Grund seiner Seele sah sie genau das Gegenteil. Sich mit ihm einzulassen wäre unsagbar gefährlich. Aber was war mit dem Preis, den er ihr verheißen hatte? Gab es ihn überhaupt? Und könnte sie ihn wirklich erringen?
Sie prüfte die Aufrichtigkeit hinter seinen Worten, und ein Schauer lief ihr über den Rücken.
Er lügt nicht.
Langsam schlug sie die Augen auf. Sie brauchte nichts zu sagen; er las in ihren Zügen, was sie herausgefunden hatte.
Du hast erwartet, dass ich dich prüfe, nicht wahr? Das war von Anfang an Teil deines Plans. Der Grund, warum du in Rätseln zu mir sprechen konntest. Du wusstest, dass ich fähig wäre, deine Spielchen zu durchschauen, wenn ich mich bereitfände, dieses Opfer zu bringen.
Und du wolltest sehen, ob ich dazu bereit wäre , erkannte sie plötzlich. Du hast mich auf die Probe gestellt, nicht wahr? Meine Kraft. Meine Hingabe. Und vielleicht meine Verzweiflung.
Jetzt war nur noch eine Entscheidung möglich. Nur ein Weg führte ins Leben.
»Was verlangt Ihr?«, fragte sie leise.
Amalik lächelte kalt. Wie ruhig er sich gab! Als feilschten sie über irgendein Schmuckstück ohne echten Wert. Aber sie hatte in sein Inneres geschaut und kannte die Wahrheit: Wofür diese Männer sie auch haben wollten, ihre Gier
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