Die Seelenzauberin - 2
Versuchung zu führen, damit sich zeige, ob wir aus dieser Heimsuchung die richtigen Lehren gezogen hätten. Das war offenbar nicht der Fall, denn die Welt wurde noch für ein weiteres Jahrhundert in Finsternis gestürzt.« Beim Gedanken an die genaueren Umstände dieser Finsternis wurde Salvators Miene ernst. Sie waren zu bestürzend für ein so oberflächliches Gespräch. »Angeblich zerstörten die Magister in diesem zweiten Teil der Finsteren Zeiten die größten Werke der Menschheit und töteten alle Herrscher, die sie ins Licht hätten zurückführen können. Ohne die Zauberei wäre das Zweite Königtum viel früher angebrochen.«
»Und Ihr glaubt, so sei es tatsächlich gewesen?«
Er zuckte die Achseln. »Die Geschichte lehrt uns, dass unsere Vorfahren nach dem Großen Krieg und lange nach dem Abzug der Seelenfresser noch für mehrere Generationen in der Finsternis lebten. Habt Ihr dafür jemals eine bessere Erklärung gefunden?«
»Nein.« Ihre Stimme war weich und nachdenklich geworden. »Nein, das habe ich nicht.«
»Ich glaube, es vergeht keine Nacht, in der die Magister nicht davon träumen, wieder die grenzenlose Macht zu besitzen, die sie einst genossen. Nicht unbedingt, um sie offen auszuüben, aber doch zumindest durch ihren Einfluss auf sterbliche Könige. Und wenn wir der Verderbnis so weit nachgeben, dass wir ihnen diesen Einfluss zubilligen …« Er holte tief Atem und hielt kurz die Luft an, um ruhiger zu werden; wenn er sich so ereiferte, dass er sie vertrieb, hätte niemand etwas gewonnen. »Vielleicht sind die Seelenfresser deshalb zurückgekehrt. Vielleicht sollen sie uns zur Warnung dienen. Ich für mein Teil werde mich jedenfalls nicht für die Zwecke der Magister einspannen lassen.«
»Eine mutige Haltung«, sagte sie leise.
Er zog steif die Schultern hoch. »Man braucht nicht viel Mut, um im Dienst seines Gottes sein Leben zu wagen. Ich hätte mehr Angst vor einem Leben ohne Glauben, einem Leben, das keine Richtung hat. Ich will nicht sein wie ein Insekt.« Er schüttelte den Kopf. »Aber vergebt mir, Eure Worte verleiten mich zu düsteren Betrachtungen, auf die Ihr sicherlich nicht gefasst …«
»Es ist Eure Passion«, sagte sie leise. Diesmal legte sie ihm tatsächlich die Hand auf den Arm: eine Berührung so leicht wie ein Schmetterlingsflügel. »Und für eine Passion braucht Ihr Euch nicht zu entschuldigen. Nicht bei mir.«
Er zwang sich, dem Blick ihrer Augen auszuweichen. Zu viele Geheimnisse schwammen dort in den Schatten; man konnte sich darin verlieren. »Und was ist mit Euch?«, fragte er. »Warum geht Ihr ein solches Risiko ein?«
Sie lachte leise; die Schmuckstücke unter ihren Röcken klirrten, als sie ihre Stellung veränderte. »Oh, ich habe leider keine so fesselnde Geschichte zu bieten. Und auch kein so edles Motiv. Ich finde die Magister nur unerträglich arrogant. Als ich einst meinen Thron bestieg, wollten sie mir vorschreiben, wie ich mein Land zu führen hätte, und das gefiel mir gar nicht. Nun geben sie mir mit den gleichen Worten ›freundschaftliche Ratschläge‹, aber ich bin nicht auf sie angewiesen wie andere Fürsten, und deshalb brauche ich nicht zuzuhören. Und auch nicht zu gehorchen.«
Ein schwaches Lächeln erhellte Salvators Gesicht. »Seht Ihr, das nenne ich wahren Mut.« Er neigte ganz leicht den Kopf. »Alle Achtung vor so viel Unerschrockenheit.«
Einer plötzlichen Eingebung folgend, ergriff er ihre Hand, zog sie an seine Lippen und küsste sie, ohne dabei den Blick von ihren Augen zu wenden. Ein leiser Duft, warm und angenehm, stieg von ihren Fingern auf. Ihre Haut war weich wie Seide.
Sie kam nicht näher, um die Sache voranzutreiben. Das reizte ihn. Eine gewöhnliche Verführerin hätte seine Geste sicherlich ernst genommen und zu ihrem Vorteil ausgenützt. Doch diese Frau spielte ein komplexeres Spiel.
Oder sie spielt ein anderes Spiel, als ich dachte.
Irgendwo in der Ferne schlug eine Glocke die Mitternachtsstunde. Der Zauber des Augenblicks verflog. Er hielt ihre Hand noch einen Moment länger fest, dann gab er sie widerwillig frei. Als sie sie zurückzog, strichen ihre Fingerspitzen über seine Handfläche. Es brannte wie Feuer.
»Morgen früh ist so viel zu tun«, sagte sie leise. Es klang bedauernd.
Er lachte in sich hinein. »Seht Ihr, hier ist der ehemalige Mönch gegenüber der Dame des Hofes im Vorteil. Mein Tagwerk beginnt von jeher im Morgengrauen. Auch nur eine Stunde länger zu schlafen wäre für mich …
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