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Die Seelenzauberin - 2

Die Seelenzauberin - 2

Titel: Die Seelenzauberin - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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Himmel; geschwächt und verstört, wie er war, begriff er nicht gleich, dass sein Entführer durch eine Bergspalte geflogen war, die seinen riesigen Schwingen genügend Platz bot. Sie glitten in die Tiefen einer riesigen Höhle, auf deren Boden sich Schlamm und Kies abgesetzt hatten. Nun endlich öffneten sich die Riesenklauen, und der Junge landete mit einer Schulter und einem Arm hart auf einem Haufen Bimsstein. Die scharfkantigen Brocken rissen ihm die Haut auf. Er blieb atemlos liegen und spürte, wie ihm das warme Blut aus Dutzenden von Wunden quoll. Nur undeutlich nahm er wahr, wie sein Gott mit einem lauten Schrei die Höhle verließ. Sicherlich eine Herausforderung an die Götter unten am See. Sie hörten sich wirklich wie Tiere an! Er hätte erwartet, dass sich die Götter einer wohlklingenderen … zivilisierteren Sprache bedienten.
    Jäh fiel ihm auf, dass der Boden unter ihm warm war. Auch die Luft schmerzte nicht mehr in den Lungen, eine schwache, unsichere Wärme hatte die Eiseskälte vertrieben. Er holte tief Luft und spürte, wie die kostbare Glut seinen Körper durchdrang. Seine Finger und Zehen begannen zu schmerzen und wühlten sich wie von selbst in den Bimssteinkies, als suchten sie nach dem tief darunter vergrabenen Sonnenstein. In diesem Moment beherrschte ihn der animalische Drang nach Wärme ganz und gar. Er würde sich von Kopf bis Fuß im Bimsstein vergraben, wenn der Haufen nur tief genug wäre, auch wenn er dafür bluten müsste. Behutsam drückte er das Gesicht in den Boden, schloss die Augen und genoss das Leben spendende Feuer unter seiner Wange.
    »Was soll das?«
    Eine Männerstimme riss ihn aus seiner Verzückung. Der Akzent war so stark, dass er die Worte kaum verstand. »Opfern sie neuerdings auch Jungen?«
    »Wo ist der Unterschied?«, hielt eine zweite Stimme dagegen. »Futter ist Futter.«
    »Futter bleibt draußen«, sagte der erste Mann schroff. »Er wurde hereingebracht. Wieso?«
    Der Junge hob den Kopf und blinzelte mit tränenden Augen die Männer an, die mit einem Mal um ihn herumstanden. Es mochten insgesamt ein halbes Dutzend sein, und nun traten noch weitere aus den Schatten der riesigen Höhle. Sie sahen nicht aus wie die Männer seines eigenen Volkes, sie glichen sich nicht einmal untereinander, sondern bildeten ein buntes Gemisch, so unterschiedlich wie verschiedene Tierarten. Einer war groß und dünn und von heller Hautfarbe, lange, wirre blonde Locken umrahmten seine blutleeren Züge. Ein zweiter war fast schwarz, seine Augen leuchteten wie weiße Sterne am Nachthimmel, und sein Haar glich eher einem dichten krausen Fell. Einem dritten fehlten die Lider, seine Augen waren nur Schlitze, hinter denen schwarze Pupillen funkelten. Verdutzt drehte sich der Junge auf den Rücken, um sie alle ansehen und ihre Fremdartigkeit verarbeiten zu können. Sosehr sie sich in Größe, Körperbau sowie Haut- und Haarfarbe unterschieden, hatten sie doch ein gemeinsames Merkmal, und das ging dem Jungen durch und durch. Die Augen. Verschieden in der Form, in der Farbe und in der Größe, einige menschlich, andere eher an Reptilien erinnernd, aber alle ohne Ausnahme dumpf und verstört. Als hätten diese Männer etwas so Grauenhaftes gesehen, dass es ihnen die Seele geraubt und nur etwas zurückgelassen hatte, was nicht mehr ganz menschlich war. Die Augen von lebendigen Menschen sahen anders aus, dachte der Junge fröstelnd. Waren diese Männer etwa Gespenster? War dies der Ort der ewigen Wärme, wo angeblich die Geister der Toten hausten? Und wenn es so war, durfte er ihn dann als Lebender schauen, oder war er auf dem Flug unter dem kalten Himmel erfroren und seine Seele gehörte tatsächlich hierher?
    »Er hat uns zugerufen, wir sollten ihn mitnehmen«, erklärte ein dritter Mann. Er war so dünn, dass seine Gelenke sich deutlich abzeichneten, und bewegte sich ruckartig. Sein Anzug haftete am Körper wie eine zweite Haut, er glänzte ölig und schillerte bläulich violett, doch das Material war weder Tuch noch Robbenfell oder sonst ein bekannter Stoff. Die Gewänder der anderen waren vielfältig im Schnitt – manche glatt und lang und aus einem Stück, andere aus kleineren Flicken scheinbar planlos zusammengestückelt –, aber als sich die Augen des Jungen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, stellte er fest, dass alle aus einem einzigen unbekannten Material gefertigt waren. Es hatte die gleiche Farbe wie die Haut der Götter, so als wären deren riesige Schwingen um die Männer

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