Die Seemannsbraut
Schatten nahmen Formen an und bekamen Sinn. Da standen zwei junge Fähnriche, beide auf ihrem ersten Schiff, der Wachoffizier und an Vorkante Achterdeck die große, starke Figur des Segelmeisters Penhaligon.
Abermals ein Ruf von oben: »Achtung, Deck –
Upholder
in Sicht!«
Bolitho meinte, die Stimme gehöre Reimer, dem Meistergehilfen der Wache. Das war ein schmächtiger, gebräunter Mann mit derart faltigem Gesicht, daß er wie aus einem vergangenen Zeitalter entsprungen aussah. Das gemeldete Schiff war kaum mehr als ein verschwommener Fleck im beginnenden Tageslicht, aber Reimers Erfahrung und scharfes Auge sagten ihm alles, was er wissen mußte.
Bolitho winkte seinem Adjutanten. »Jenour, entern Sie mit einem Glas auf. Ich bin sicher, daß Sie ebenso schnell klettern, wie Sie reiten.«
Er trat beiseite, als der junge Leutnant ihn mit blitzenden Zähnen angrinste und zu den Wanten eilte. Dann war er fort, Arme und Beine mit der Leichtigkeit eines gewandten Toppgasten bewegend.
Haven kam über Deck heran und schaute Janours weißen Breeches nach. »Es wird bald hell genug sein, Sir.«
Bolitho bejahte und ballte die Fäuste, als Jenours Stimme von oben erschallte: »Signal von
Upholder,
Sir:
Thor
ist in ihrer Begleitung!«
Also hatte Imrie es geschafft! Bolitho wollte sich keine Aufregung oder Überraschung anmerken lassen.
»Verstanden!« Er rief es durch die gewölbten Hände, um das Flattern der Segel und das Sausen des Windes zu übertönen. Von
Upholder
kam kein weiteres Signal. Das hieß, bis her war nichts schiefgelaufen, und der Leichter wurde immer noch sicher geschleppt.
Er blickte in die Höhe, in die von der Sonne beschienene Takelage. Merkwürdig, daß er seine Schwindelanfälligkeit niemals überwunden hatte. Als Fähnrich hatte er jedes Aufentern zum Setzen oder Reffen der Segel immer als persönliche Schikane empfunden. Besonders nachts auf den schwankenden Rahen, wenn das Deck wenig mehr war als ein verschwommener Streifen tief unter seinen Füßen, hatte er ständig Angst gehabt.
Beim Kreuzmast standen einige Seesoldaten in ihren grellroten Waffenröcken. Sie lehnten sich an die Reling und warteten auf die Brigg
Upholder.
Bolitho wäre gern über ihren Köpfen nach oben geklettert zu Jenour. Er berührte sein linkes Augenlid und blinzelte ins Sonnenlicht. Im Moment war alles trügerisch klar, doch die Sorge blieb.
Sein Blick schweifte über Deck, wo die Geschützbedienungen bereitstanden, ihre tägliche Arbeit zu verrichten, sobald die erste Spannung mit der Nacht verschwunden war.
So viele Meilen, so viele Erinnerungen. Als er während der Nacht in seiner Schwingkoje wachlag, dem Knarren und Quietschen des Ruders lauschend, hatte er einer anderen Zeit gedacht: der
Hyperion
unter seinem Kommando. Sie hatten sich in der Dunkelheit an den Pascua-Inseln vorbeigeschlichen und bei Tagesanbruch die dort ankernden französischen Schiffe angegriffen. Das lag neun Jahre zurück. Die
Hyperion
war dasselbe Schiff. Aber war er noch derselbe Mann?
Plötzlich war er mit sich selbst uneins. »Reichen Sie mir das Fernglas, bitte.« Er nahm es einem erschrockenen Fähnrich aus der Hand und trat entschlossen zu den Luvwanten. Haven beobachtete ihn. Parris, der an Backbord mit dem Bootsmann Sani Linton diskutierte, versuchte nicht herzusehen. Wahrscheinlich besprachen sie, wann die Gräting aufzustellen war, damit die Bestrafung wie befohlen erfolgen konnte. Vom Großdeck schielte Allday herauf, noch an einem Zwieback kauend und sichtlich erstaunt.
Bolitho schwang sich ins Want und fühlte bei jedem Schritt die Webeleinen unter sich zittern, während das große Signalglas wie ein schwerer Köcher gegen seine Hüfte schlug. Es war leichter als gedacht, aber auf der Marssaling ließ er es genug sein. Die Marines hier oben machten ihm Platz, knufften einander und grinsten. Bolitho kannte den Korporal bei Namen, einen grimmig aussehenden Mann, der Wilderer gewesen war, ehe er in das Korps der Seesoldaten eintrat. Keinen Moment zu früh, hatte Major Adams dunkel angedeutet.
»Wo ist die
Upholder,
Korporal Rogate?«
»Dort drüben, Sir, an Backbord!«
Bolitho stützte das lange Teleskop auf und sah die Rahen und das kleine Achterdeck der Brigg in sein Blickfeld gleiten. Gestalten bewegten sich schief an Deck, indes das Schiff so weit überholte, daß man den im frühen Sonnenschein glänzenden Kupferboden erblickte. Bolitho wartete, bis sich Hyperion im Seegang aufrichtete und der Kreuzmast nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher