Die Seemannsbraut
Gegenvorschlag erwartet, doch Haven sagte nichts, sondern starrte ihn nur an, als ob er sich verhört hätte.
Bolitho sprach ruhig weiter. »Es gibt keinen anderen Weg. Wenn wir ein Schatzschiff kapern oder vernichten wollen, geht das nur, während es vor Anker liegt. Denn wir haben zu wenig Schiffe für eine ausgedehnte Suche, sollte es an uns vorbeischlüpfen.«
Haven schluckte hart. »Sie wollen selbst mit nach La Guaira gehen, Sir? In meinem Leben habe ich so was noch nicht gehört.«
»Mit Gottes Hilfe und einem bißchen Glück, Kapitän Haven, sollte ich bei den Untiefen westlich von La Guaira stehen, wenn Sie Ihre Scheinattacke gegen Puerto Cabello fahren.« Er sah ihn fest an. »Setzen Sie aber nicht Ihre Schiffe aufs Spiel. Sollte ein feindlicher Verband erscheinen, werden Sie das Unternehmen abbrechen und sich entfernen. Noch ist der Wind ein stetiger Nordwest. Mr. Penhaligon glaubt aber, daß er räumen wird, das wäre zu Ihrem Vorteil.«
Haven sah sich um, als suche er einen Ausweg. »Er könnte sich irren, Sir.«
Bolitho erklärte achselzuckend: »Ich würde nicht wagen, anderer Meinung zu sein als er.«
Doch sein Versuch, die Spannung zu durchbrechen, war vergeblich; Haven stieß hervor: »Wenn ich zum Rückzug gezwungen werde, wer wird mir glauben, daß …«
Bolitho verbarg seine Enttäuschung. »Ich lasse Ihnen die entsprechenden Befehle schriftlich ausstellen. Man wird Ihnen keine Schuld geben.«
»Danke. Aber ich habe es nicht nur zu meinem eigenen Besten erwähnt, Sir.«
Bolitho setzte sich. »Ich wünsche dreißig Seeleute aus Ihrer Mannschaft, ferner einen Offizier, den sie gut kennen und der sie kommandiert.«
Haven reagierte rasch. »Darf ich den Ersten Leutnant vorschlagen, Sir?«
Ihre Blicke trafen sich. Bolitho bejahte, das hatte er erwartet.
»Einverstanden.«
Draußen an Deck erklangen Befehle, und Haven wollte zur Tür. Bolitho rief ihn abrupt zurück: »Ich bin noch nicht fertig.«
Havens Betragen brachte ihn fast um seine Selbstbeherrschung.
»Wenn der Feind mit einer Übermacht gegen Sie vorgeht, haben Sie keine Möglichkeit, meinen Rückzug aus La Guaira zu decken.«
Haven hob trotzig das Kinn. »Wie Sie meinen, Sir Richard.«
»In diesem Falle schreiben Sie uns ab und übernehmen die Führung der Flottille.«
»Darf ich fragen, was Sie tun werden, Sir?«
Bolitho erhob sich. »Das, wozu ich hergekommen bin.«
Er ahnte, daß Allday hinter der Tür mithörte. Nun, er wußte, weshalb er ihn nicht zur
Thor
begleiten sollte.
»Bevor Sie gehen, Kapitän Haven …« Bolitho unterdrückte ein Blinzeln, denn der Schleier zog sich wieder über sein linkes Auge.
»Auf ein Wort noch: Lassen Sie diese beiden Männer nicht auspeitschen. Ich kann mich nicht offen einmischen, weil dann jeder an Bord sofort merken würde, daß ich Partei gegen Sie ergriffen habe. Was Sie natürlich schon wußten, als Sie in meiner Gegenwart mit Ihrem Ersten die Klingen kreuzten.«
Haven wurde ein wenig blaß.
»Gott weiß, diese Menschen verlangen wenig genug. Aber mit ansehen zu müssen, wie ihre Kameraden ausgepeitscht werden, ehe man sie in die Schlacht schickt, das kann nur Schaden anrichten. Ihre Treue und Loyalität sind für uns lebenswichtig. Aber denken Sie daran: Solange sie unter meiner Flagge stehen, gilt diese Loyalität für beide Seiten.«
Haven trat zur Tür zurück. »Ich hoffe doch, meine Pflichten zu kennen, Sir Richard.«
»Das hoffe ich auch.« Er wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte, und rief dann aus: »Gott verdamme ihn!«
Jenour trat ein und wischte sich mit einem Lappen den Teer von den Fingern. Er taxierte Bolithos Stimmung. »Schöne Aussicht von dort oben. Ich kam nur, um zu melden, daß Ihre Signale übermittelt und bestätigt wurden.« Als Schritte über ihren Köpfen laut wurden und Stimmen vom Großdeck widerhallten, erklärte er: »Wir sind dabei, über Stag zu gehen, Sir Richard.«
Der hörte kaum hin. »Was ist los mit dem Mann, eh?«
Jenour begriff sofort. »Jetzt weiß er wenigstens, was ihm bevorsteht.«
Bolitho nickte. »Ich dachte, daß jeder Flaggkapitän nur zu gern die Gelegenheit ergreifen würde, unabhängig von seinem Admiral zu operieren. Ich jedenfalls hätte es …« Er sah sich in der Kajüte nach den Geistern der Vergangenheit um. »Statt dessen denkt er an nichts anderes als …«
Er zügelte sich. Undenkbar, mit Jenour über den Flaggkapitän zu debattieren. War er denn schon so isoliert, daß er keinen anderen Trost
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