Die Seemannsbraut
Bolithos plötzliche Erregung und sagte beschwichtigend: »Aber sie hat die Insel doch gar nicht verlassen, Sir Richard. Ich erwarte noch immer ihre Anweisungen.« Irritiert schloß er: »Lady Somervell wohnt jetzt in der Residenz.«
Bolitho nahm wieder Platz und schaute zum Fächer hin, der auf dem Weinschränkchen lag. Er sagte: »Entschuldigen Sie mich bitte für heute, Gentlemen. Wir sprechen uns morgen wieder.«
Später, als das Trillern der Pfeifen und das Poltern von Glassports Boot an der Bordwand verklang, starrte er durch die Heckfenster auf die Hafenlichter, so fein wie Nadelstiche. Von der offenen See kam eine träge, glasige Dünung herein, die den schweren Rumpf der
Hyperion
eben rührte. Am Himmel standen einige wenige Sterne. Bolitho begann sie zu zählen, und dabei wurde ihm auf einmal klar, was er Augenblicke früher noch nicht mal hatte denken wollen.
Würdest du alles riskieren? Eine – ihre – Stimme schien das laut gefragt zu haben.
Im dicken Glas neben sich erblickte Bolitho ein Spiegelbild. Jenour war lautlos eingetreten.
»Seien Sie so gut, Stephen, und sagen Sie Allday, er soll mein Boot klarmachen, ich gehe gleich an Land.«
Jenour zögerte. Er hatte zugehört, als Glassport mit der Geschichte von Lady Somervell herausplatzte.
Er setzte an: »Darf ich etwas sagen, Sir Richard?«
»Habe ich Sie jemals daran gehindert, Stephen? Worum geht es, wollen Sie mein Schiff verlassen?« Halb ihm zugewandt, fühlte er des jungen Leutnants Unbehagen.
Jenour erwiderte heiser: »Es gibt nicht einen Mann unter Ihrer Flagge, Sir Richard, der nicht für Sie sterben würde.«
»Das bezweifle ich aber.« Bolitho musterte den bestürzten Jenour. »Sprechen Sie trotzdem weiter.«
Jenour setzte abermals an: »Sie haben die Absicht, die Lady zu besuchen, Sir Richard …« Als die erwartete Zurechtweisung ausblieb, fuhr er fort: »Aber morgen wird es das Geschwader wissen, und im nächsten Monat wird ganz England davon hören.« Er schaute zu Boden. »Es – es fällt mir schwer, so mit Ihnen zu reden. Ich habe kein Recht dazu, es ist nur, weil ich sehr besorgt bin.«
Bolitho nahm seinen Arm und schüttelte ihn leicht. »Es erforderte Mut, Stephen. Ich danke Ihnen. Einem alten Feind, John Paul Jones, wird das Wort zugeschrieben: ›Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Was auch immer seine Fehler gewesen sein mögen, Mangel an Mut gehörte nicht dazu.« Er wurde ernst: »Ich kenne das Risiko, Stephen. Und nun rufen Sie Allday.«
Auf der anderen Seite der Pantrytür zog Ozzard den Kopf zurück und nickte langsam. Er freute sich, daß er den Fächer entdeckt hatte.
Bolitho merkte kaum etwas von seiner Umgebung, als er den Hafen hinter sich ließ und durch die Schatten schritt. Er hielt nur einmal an, um Atem zu schöpfen und seine Gefühle zu prüfen. Er sah zu den ankernden Schiffen hinaus, deren offene Stückpforten auf der leichten Dünung glitzerten, unter ihnen die dunkle, massige
Ciudad de Sevilla.
Was würde aus ihr werden? Würde man sie irgendeiner reichen Handelsgesellschaft verkaufen oder sie den Spaniern zum Tausch anbieten und versuchen, die
Consort
dafür zurückzugewinnen? Letzteres war unwahrscheinlich. Die Dons waren durch den Verlust des Schatzschiffes gedemütigt und durch die Versenkung eines weiteren unter ihren eigenen Kanonen erst recht verbittert.
Vor den weißen Mauern der Residenz blieb er abermals stehen. Sein Herz pochte. Was hatte er eigentlich im Sinn? Vielleicht würde sie ihn überhaupt nicht empfangen. Er schritt über die Auffahrt und ging durch den Haupteingang, der wegen der erfrischenden Seebrise weit offenstand. Ein in einem Korbstuhl schlafender Diener rührte sich nicht einmal.
Er befand sich in einer von Säulen gestützten Halle, deren schwere Gobelins im Widerschein zweier Kandelaber glühten. Es war ganz ruhig, selbst die Luft schien stillzustehen.
Über der geschnitzten Truhe bei einer anderen Tür entdeckte Bolitho einen Klingelzug und spielte mit der Idee zu läuten. Während des letzten Gefechts auf dem Schatzschiff war der Tod sein Begleiter gewesen, und er war ihm auch sonst nicht fremd.
Aber er hatte sich nicht gefürchtet, nicht einmal hinterher. Hatte der Mut ihn jetzt verlassen? Er faßte seinen Degen fester. Vielleicht hatte Glassport sich geirrt, und sie war wieder nach St. John’s gegangen, wo sie Freunde besaß, diesmal über Land. Er dachte an Jenours Befürchtungen, an Alldays verdächtiges Schweigen, als er ihn zur Anlegebrücke rudern
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