Die Seevölker
Wirklichkeit waren es nicht die Archäologen, die ursprüng-
lich das Schema Manethos mit Daten von hieroglyphischen Texten auf
Denkmälern oder Papyri ausfüllten. Wir stehen vielmehr vor der be-
fremdenden Tatsache, daß lange bevor die Hieroglyphen zum erstenmal
gelesen wurden, die Könige Ägyptens in die Jahrhunderte eingeordnet
wurden, in denen sie immer noch Gefangene der konventionellen
Chronologie sind.
6 H. R. Hall, The Oldest Civilization of Greece (1901), S. 18-19. 232
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Wer ordnete zuerst Ramses III. ins zwölfte Jahrhundert ein?
Im Jahr 1799 fand Monsieur Boussart, ein französischer Offizier in Ge-
neral Bonapartes Armee, an der westlichen Mündung des Deltas, sechs
Kilometer entfernt von Rosetta, einen dreifach beschriebenen Stein: in
Griechisch, in Hieroglyphen und in einer unbekannten, gelegentlich
schon auf Papyri gesehenen Kursivschrift, die später »demotisch« ge-
nannt wurde. Der englische Arzt und Physiker Thomas Young, der als
erster die Farbenwahrnehmung als Folge des Vorhandenseins spezi-
fisch für rot, grün und violett zugeordneter Nervenenden in der Retina
des Auges erklärt hatte, der als erster den Astigmatismus erklären und
messen konnte sowie das Phänomen der Lichtinterferenz entdeckte,
stärkstes Argument zugunsten der Wellentheorie des Lichts, worüber
er viel verspottet wurde, las auch als erster einige in Hieroglyphen ge-
schriebene Worte; der Name Ptolemaios auf dem Rosettastein – mit
einem Oval (Kartusche) umrundet – war der erste Hinweis. Die Ge-
schichte seiner Anstrengungen und Erfolge und seiner tragischen Be-
ziehungen zu Champollion ist fesselnd. Es scheint, daß Young bei der
Entzifferung von Hieroglyphen viel mehr erreichte, als ihm gewöhn-
lich zugebilligt wird.
Jean Francois Champollion (1790-1832) hörte als Elfjähriger vom
Rosettastein und entschloß sich, sich der Entzifferung der Hierogly-
phen zu verschreiben; der frühreife Junge studierte Koptisch und ver-
tiefte sich in die Philologie der orientalischen Sprachen. Erst 20 Jahre
später, am 21. Dezember 1821, kam er auf den einfachen Gedanken:
Nachdem es auf dem Rosettastein ungefähr dreimal so viel Hierogly-
phen wie griechische Wörter im Paralleltext gibt, stehen die Hierogly-
phen oder Bilder von Menschen in verschiedenen Haltungen und Teile
des menschlichen Körpers, Blumen sowie Vögel nicht für Begriffe (eine
jahrhundertealte Überzeugung) und sind keine Symbole in diesem
Sinn, sondern sie stehen für phonetische Zeichen oder Buchstaben (fast
ausschließlich Konsonanten, in dieser Hinsicht ähnlich wie in der he-
bräischen Schrift). Am 22. September 1822 verkündete er seinen Erfolg
vor der Académie in Paris. 1825 gelang ihm die Übersetzung einer In-
schrift Amenophis' III. Indessen »Noch drei Jahrzehnte lang wollten
auch Wissenschaftler nicht mehr zugestehen, als daß man bestenfalls
einige Königsnamen lesen könnte, daß aber alles übrige Phantasie
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sei.«1Erst 1866 wurde durch die Entdeckung eines anderen Drei-
Schriften-Textes – des Kanopusdekrets, über das der Leser auf einer
späteren Seite mehr erfährt – Champollions Deutung eindeutig bestä-
tigt. Doch da war er schon 34 Jahre tot.
Wie bald nach Champollions erster Deutung der Hieroglyphen lie-
ferte also die Entzifferung von Denkmalinschriften oder Papyrustexten
den Schlüssel zum Problem, das uns interessiert, nämlich zur Datie-
rung der Regierungszeit von Ramses III.? Man sollte annehmen, dies
sei zur Zeit von Lepsius (1810-84) oder Chabas (1817-82) oder H.
Brugsch (1827-94) geschehen, der Männer, die die Ägyptologie zur
exakten Wissenschaft erhoben haben – aber das ist nicht der Fall: Tat-
sache ist, daß Ramses III. vor Champollions Deutung der Hierogly-
phen im zwölften Jahrhundert angesiedelt wurde, und damit bevor
irgendeine Denkmalinschrift eine solche Einordnung gerechtfertigt
hätte.
In einem Buch des schottischen Psychiaters J. C. Prichard (erschie-
nen 1819 oder zwei Jahre vor dem denkwürdigen Tag in Champollions
Leben) heißt es auf Seite 61, Ramses III. habe seine Regierung –1147
begonnen. Offensichtlich beruht diese Schätzung nicht auf einem Hie-
roglyphentext, sondern Prichard entnahm seine Daten wahrscheinlich
einem früheren Chronologen. Gibt es dann bei klassischen Autoren
irgendeinen Hinweis auf Ramses III., der diese Schlußfolgerung gestat-
tet hätte? Weder Herodot noch Thukydides noch irgendein
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