Die Seevölker
hellenistischen und römischen Perioden kannten
die Länge des Jahres von 365¼ Tagen: Das Kanopusdekret und die
Schriften des Diodor (I, 50)3 beweisen es. Es ist möglich, daß sich Cäsar
seine Kenntnisse von den Ägyptern ausborgte, doch sie ihrerseits wi-
dersetzten sich der Gleichsetzung des astronomischen mit ihrem reli-
giösen Jahr.
Die römischen Autoren des ersten vorchristlichen und der folgen-
den Jahrhunderte, die sich im privilegierten Besitz eines besseren Ka-
lenders wähnten, waren vertraut mit der einfachen Rechnung, wonach
ein Viertel eines Tages pro Jahr sich in 1461 Jahren zu 365 Tagen auf
ein volles Jahr aufaddiert.
Im Jahr –238 (oder 475 Jahre nach dem Kanopusdekret, –238)
schrieb Censorinus, ein römischer Autor: »Die Ägypter berücksichti-
gen bei der Gestaltung ihres Großen Jahres den Mond nicht; die Grie-
chen nennen es kynisch, die Römer canicularis, weil es mit dem Aufgang des Hundssterns am ersten Tag des Monats beginnt, welcher von den
Ägyptern Thot genannt wird … Auch ist die Länge von vier ihrer Jahre
um, ungefähr, einen Tag kürzer als die Länge von vier natürlichen Jah-
ren; dies führt wieder zur Übereinstimmung im 1461. Jahr. Dieses
(große) Jahr wird von einigen auch das heliakische Jahr, von anderen
›das Jahr des Gottes‹ genannt.«4 Censorinus erklärte dann das »Höch-
ste Jahr« des Aristoteles, das solange währt, bis Sonne, Mond und Pla-
neten wieder ihre Ausgangspositionen einnehmen, und das kataklysti-
sche Jahr, die Periode zwischen zwei Weltkatastrophen – seien es Sint-
3 »Und nach den 12 Monaten setzen sie noch 5¼Tage hinzu, und auf diese Weise erhalten sie ein ganz vollständiges Jahr. Sie schalten keine Monate ein, und ziehen auch
(bei den Monaten) nicht einzelne Tage ab, wie die Griechen meistens tun. Die Sonnen-
und Mondfinsternisse scheinen sie genau beobachtet zu haben; sie sagten diese Er-
scheinungen auch voraus, und geben alle einzelnen, welche vorkommen, ohne Fehler
an.«
4 Über de Die Natalie, XVIII.
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flut oder Feuer –, welche nach Aristarchus von Samos alle 2484 Son-
nenjahre eintreffen.
Censorinus erklärte Sothis als den ägyptischen Namen für Sirius,
den Hundsstern im südlichen Sternbild Canis Major. Während eines
Teils des Jahres ist dieser Stern auf der nördlichen Hemisphäre, wo
Ägypten hegt, nicht sichtbar, und in jedem Sonnenjahr kehrt er zur
selben Zeit im Sommer wieder an seine Ausgangsposition am Himmel
Ägyptens zurück.
Außer den 365¼ Umdrehungen der Erde im Laufe eines Jahres er-
gibt sich durch ihren jährlichen Umlauf um die Sonne im Hinblick auf
die Sterne eine weitere Eigendrehung. Daher kreuzen die Sterne den
Horizont jede Nacht ungefähr vier Minuten früher.
Beginnend mit der Frühlings-Tagundnachtgleiche neigt sich die
nördliche Halbkugel mit ihrem beleuchteten Teil gegen Süden (so daß
die Arktis ins Licht tritt) und der beschattete Teil gegen Norden. Nach
der Sommersonnenwende dreht sich die Nachtseite der nördlichen
Halbkugel langsam südwärts, und die Sterne des südlichen Himmels
beginnen zu erscheinen. Es ist in der zweiten Hälfte des Sommers, daß
der Sirius am Himmel Ägyptens vor der Helligkeit des Tagesanbruchs
zum Vorschein kommt, kurze Zeit vor Sonnenaufgang.
Zuerst tritt der Stern nur wenig über den Horizont, bevor die auf-
gehende Sonne sein Licht und das anderer Sterne überstrahlt. In jeder
nachfolgenden Nacht erhebt er sich einige Minuten früher und klettert
höher am Himmel vor Tagesanbruch. Der heliakische Aufgang eines
Sternes erfolgt an dem Morgen, da er zum erstenmal vor der aufge-
henden Sonne beobachtet wird. Das heliakische Erscheinen des Sirius
meldete die Überschwemmung des Nils, der anschwoll, wenn in
Äthiopien der flutartige tropische Regen fiel und der Schnee in den
Bergen schmolz. Die Hundstage (vom Hundsstern) umfaßten im Alten
Ägypten Ende Juli und den größeren Teil des Augusts, die heißeste
Zeit des Jahres.
In einem Kalender, der nur 365 Tage pro Jahr aufweist und alle vier
Jahre einen Tag verliert, würde der heliakische Aufgang irgendeines
Sternes, einschließlich Sirius, alle vier Jahre einen Tag später erfolgen.5
5 Diese Berechnung ist weit entfernt davon, genau zu sein, weil das Julianische Jahr
von 365¼ Tagen nicht das wahre (Stern-)Jahr ist; 1460 Julianische Jahre zu 365¼Tagen 279
Wie bei Censorinus erklärt, beginnt das »Große Jahr« dann, wenn
der heliakische Aufgang
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