Die Seevölker
Sprache ähn-
lich unbestimmt gewesen sein muß, oder aber, daß man bereits an eine
ziemlich weitverbreitete Unterdrückung von Endungen [Suffixen, d.h.
Nachsilben] gewöhnt gewesen sein muß«.
Im paläographischen Bereich »sind die Zeichen grob und ohne
Sorgfalt in den Stein eingeritzt … Anzeichen für große Hast sind über-
all vorhanden.« Die Schreiber, die die Umrisse der Buchstaben für die
Steinmetzen vorbereiteten, waren sichtlich weit vertrauter mit den hie-
ratischen Zeichen – die man im allgemeinen nicht auf Stein, sondern
auf den Papyri verwendete – als mit den Hieroglyphen, und daher
bildeten sie letztere fehlerhaft ab. In ihren Hieroglyphen »ging der Ur-
sprung der einzelnen Zeichen so gut wie vollständig verloren«.6
Schließlich stellen die Reliefs von Medinet Habu selbst »einen klar
erkennbaren Bruch mit der Vergangenheit« dar. »Ein Verlust an Wür-
de und Orthodoxie wird teilweise durch eine Zunahme an Kraft und
5 a.a.O., S. 26, Anmerkung 3. Andere Zitate, die folgen, stammen aus dem gleichen
Artikel.
6 Wilson führt mehrere Beispiele zur Illustration an.
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Vielfalt kompensiert.« Bevor wir uns der Architektur und ihrem Stil
zuwenden, sollten wir zur Kenntnis nehmen: Während der Regie-
rungszeit Ramses' III. war die Sprache – ihre Grammatik, ihre Aus-
drucksformen und die Kunst des Schreibens, vor allem auf Stein – weit
entfernt vom klassischen Brauch der angeblich soeben vergangenen
Generationen.
Die Kunst: Jagdszenen
Ramses III. befahl seinen Künstlern, die von ihm in Medinet Habu er-
richteten Bauten sowohl mit militärischen als auch mit Jagdszenen
auszuschmücken. Diese Jagdszenen haben vieles gemeinsam mit jenen
assyrischen Reliefs, in denen die königliche Jagd dargestellt wird, so
wie sie von den Künstlern Assurbanipals und seines Vorgängers As-
surnasirpals aufgefaßt wurde. »Man nimmt im allgemeinen an, daß die
assyrischen Jagdszenen aus dem neunten bis siebten Jahrhundert von
den ägyptischen Jagdszenen inspiriert wurden, die ihnen als Vorbilder
dienten. Ein Beweis für diese Behauptung ist allerdings bisher niemals
erbracht worden. Dieses Problem bedarf einer gründlichen Neu-
überprüfung«, und L. Speleers hat eine solche unternommen.1 Er un-
tersuchte und verglich sorgfältig die assyrischen und die ägyptischen
Jagdszenen, und zwar im Hinblick auf den Realismus der Darstellung,
auf die bei der Jagd verwendeten Waffen, auf die allgemeine Szenerie,
und natürlich auch im Hinblick auf die gejagten Tiere.
Speleers erkannte deutlich, daß die assyrischen Szenen realistischer
waren, mit einer besseren Darstellung der Tiere in ihren verschiedenen
Haltungen, und daß die Assyrer ihre Motive auf ganz originale Weise
entwickelt hatten. Das läßt sich in den Szenen von Medinet Habu nicht
behaupten. Obwohl diese einige Merkmale haben, die sich auf ältere
ägyptische Vorbilder aus dem Alten und dem Mittleren Reich zurück-
führen lassen, lassen viele neuere Details erkennen, daß sie asiatischen
Ursprungs sind.
1 Louis Speleers: »Les Scènes de chasse assyriennes et égyptiennes «, in: Recueilde travaux relatifs à la phüologie et l'archeologie égyptiennes et assyriennes, Band 40 (1923), 158-176.
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Abb. 14: Assyrisches Jagdrelief aus Ninive. König Assurbanipal auf der Lö-
wenjagd.
Abb. 15: Ramses III. auf der Löwenjagd. Medinet Habu.
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Natürlich erkannte man von Anfang an die Schwierigkeit, die Er-
gebnisse dieser Analyse mit der chronologischen Abfolge in Einklang
zu bringen. »Um dieses Problem richtig in den Griff zu bekommen,
müssen wir uns stets vor Augen halten, daß die assyrischen Jagdsze-
nen viele Jahrhunderte später entstanden sind als diejenigen in Ägyp-
ten [von Ramses III.].« Der Autor mußte sich diese Mahnung zur Vor-
sicht ständig selbst vor Augen halten, denn alles deutete darauf hin,
daß Ramses III. bei Assurbanipal Anleihen gemacht hatte. Assurbani-
pal ist –663 in Ägypten einmarschiert, und die Blütezeit von Ramses
III., so wird behauptet, fällt in das zwölfte Jahrhundert. Und doch hat
Assurbanipal keine künstlerischen Anleihen bei Ramses III. gemacht,
das wurde durch diese Analyse deutlich: »Es ist schwierig, in den as-
syrischen Szenen irgendein Motiv zu finden, dessen Entlehnung aus
Ägypten nicht anfechtbar wäre.« Aber mehr noch: »Weit davon ent-
fernt zu behaupten, die Assyrer hätten die Ägypter kopiert, sollte ge-
fragt werden, ob
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