Die Seevölker
(London 1965).
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Wenamun baut einen Schrein
Wenamun – das darf als erwiesen gelten – kehrte wieder nach Ägypten
zurück und schrieb nach der erfolgreichen Beendigung seiner abenteu-
erlichen Reise den Bericht über seine Mission nach Byblos.
Als ein Gesandter des Hohenpriesters Herihor muß Wenamun ei-
nen recht bedeutenden Rang in der priesterlichen Hierarchie einge-
nommen haben, und es würde sich möglicherweise lohnen, nach Spu-
ren von ihm in Karnak, oder noch besser, in den Oasen el-Chargeh
oder Siwa zu suchen- den Orten, wo die Verehrung des Gottes Amun
während der persischen Periode der ägyptischen Geschichte kultiviert
wurde. Eine solche Suche erweist sich, wie wir gleich sehen werden,
als nicht unfruchtbar.
Der Tempel des Orakels von Zeus-Amun in der Oase Siwa ist uns
heute als der Tempel von Aghurmi bekannt, der weitgehend zerfallen
ist. Noch weniger ist von dem Tempel von Umm-Ebeida in der glei-
chen Oase erhalten geblieben. Diodor, der sich auf Kleitarch, den Bio-
graphen von Alexander beruft, erwähnt einen, von der Akropolis mit
dem Tempel des Orakels etwas entfernt stehenden, zweiten Ammon-
Tempel im Schatten vieler großer Bäume, in dessen Nähe sich eine
Quelle befindet, die »Quelle der Sonne« genannt wird.
Wie zur Zeit Alexanders ist Umm-Ebeida von Hainen und Baum-
gruppen umgeben. Heute stehen noch die Überreste einer einzigen
Mauer, in die Reliefs und Hieroglyphen eingemeißelt sind; ringsum
liegen Steinplatten, einige mit eingeritzten Zeichen. Vor dem Ende des
19. Jahrhunderts stand dort noch mehr von den Mauern mit einer sie
krönenden Decke, aber später wurden sie von einem lokalen Potenta-
ten mit Dynamit gesprengt, um Material für Bauzwecke zu erhalten.
Im Jahre 1900 besuchte G. Steindorff die Oase Siwa, untersuchte die
übriggebliebene Mauer und las dort den Namen ihres Erbauers: We-
namun. Der Text auf der Mauer identifiziert ihn als »Der wirkliche
Herr, der große Beherrscher der fremden Länder, Wenamun …« Ein
Relief zeigt ihn, wie er vor dem Gott Amun kniet: der Gott des Orakel-
tempels wurde also auch in dem von Wenamun errichteten Schrein
verehrt.
Steindorff war nicht vorbereitet, den Wenamun der Reise nach Byb-
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los mit dem Wenamun in Verbindung zu bringen, der einen Schrein
für den Gott Amun errichtet hatte: keines der Bauwerke in der Oase
Siwa reicht zeitlich weiter zurück als zum Beginn der Perserherrschaft
in Ägypten1; dagegen wird Wenamuns Reise nach Byblos im 11. Jahr-
hundert angesiedelt.
Es ist bezeichnend, daß Wenamun sich selbst auf der Tempelmauer,
die er errichtet hatte, »Herr« oder »Beherrscher« – oder Autorität –
fremder Länder nennt. Ein gewöhnlicher Laie oder Priester konnte
unmöglich ein »Beherrscher fremder Länder« sein. Aber angesichts
dessen, was wir über Wenamuns Reisen in fremde Länder erfahren
haben, konnte er mit Recht beanspruchen, eine Autorität für fremde
Länder zu sein. Aus der Inschrift erfahren wir auch, daß Wenamuns
Vater Nacht-tit hieß und seine Mutter Nefer-renpet. In dem erhalten
gebliebenen Teil des Wenamun-Papyrus werden die Namen der Eltern
des Verfassers nicht genannt.
Ist es möglich, den Zeitpunkt noch exakter zu bestimmen, zu dem
Wenamun den Schrein für den Gott Amun errichtet hat?
Vor über einhundertfünfzig Jahren besuchte und beschrieb Minutoli
die Oase Siwa und ihre Tempel.2 Auf einer der gestürzten Steinplatten
von Umm-Ebeida bemerkte er zwei Kartuschen, und er gab sie in sei-
nem Buch in einer Zeichnung wieder. Diese Kartuschen befinden sich
nicht mehr auf den heute noch erhaltenen Ruinenresten, aber »trotz
der ungenau wiedergegebenen Buchstaben besteht kein Zweifel, daß
sie zu Nektanebos II. gehören«, schreibt Achmed Fakhri in seinem
Band Siwa Oasis.3 »Der Name von Nektanebos II. stand an der Fassade
des Tempels, aber im Innenraum finden wir wiederholt den Namen
des Erbauers dieses Tempels [Wenamun].« Wir haben bereits nachge-
wiesen, daß es sich bei Necht-hor-heb, dessen Kartuschen hier und an
anderer Stelle gefunden wurden, nicht um den Nektanebos II. der grie-
chischen Autoren handelte, sondern um einen Potentaten unter dem
Perserkönig Dareios II.
Jetzt ist es ganz gewiß, daß sich »Jahr 5« zu Beginn von Wenamuns Rei-
1 Nach A. Fakhri entstand der Orakel-Tempel unter Amasis II., kurz vor der Eroberung
Ägyptens durch die Perser.
2 H. C. Minutoli: Reise zum Tempel des Jupiter-Ammon in der
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