Die Seevölker
von
der Vision der Vergangenheit leiten – der nebelhaften Zeit der Patriar-
chen; den Tagen und Jahren, als die Nation, von Moses geführt, ihre
außergewöhnlichste geschichtliche Periode, so reich an Drangsalen
durchmachte; den sieben Jahrhunderten geordneten Lebens unter
Richtern, Propheten und Königen, die für das nördliche Königreich
Israel mit der Niederwerfung durch die Assyrer endeten, während
Juda danach noch weitere 135 Jahre in seinem Kampf gegen die Über-
macht von Babylon und Ägypten blieben, bis es ebenfalls erdrückt
wurde. Näher an Esras eigener Zeit lag das Leben im Exil in der Baby-
lonischen Gefangenschaft, aus der dann nach dem Fall von Babylon –
das von den Persern –538 erstürmt wurde – kleinere Gruppen wieder
heimkehrten, von denen rund einhundert Jahre später eine von Esra
selbst geführt wurde. Er brachte aus dem Exil auch seine Vision von
der zukünftigen Rolle Israels mit – dessen Name von Juda übernom-
men werden sollte. Er führte die öffentliche Lesung der Torah (Penta-
teuch) ein; er begründete das Tabernakel-Fest (Suckoth) und übernahm
dabei einige Darbietungen – wie die Verwendung von Palmzweigen –
von persischen Festgebräuchen; aber er verteidigte verbissen die Idee,
die priesterliche Mission des jüdischen Volkes nicht mit den Nichtju-
den zu teilen und beeinflußte damit die Nation, keine Proselyten zu
suchen; so überließ er für die kommenden Jahrhunderte einer jüdi-
schen Sekte, den Christen, die Rolle, »die Eroberer zu erobern«, näm-
lich die Römer, die der Bait Sheni, dem sogenannten Zweiten Reich,
ein Ende bereiteten, jener Periode, die sich von der Zeit der persischen
Eroberung über die Jahrhunderte der hellenistischen Herrschaft hin bis
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zum Jahre 70 der neuen Zeitrechnung erstreckte.
Esra überhöhte die Rolle, die Moses gespielt hatte, der mehr als tau-
send Jahre vor seiner Zeit gelebt hatte, und er erhob ihn über alle ande-
ren Autoritäten und über das Maß an Autorität, das Moses während
der Existenz des Ersten Reiches besessen hatte. Der reine Monotheis-
mus, der als solcher noch nicht einmal unter den meisten Propheten
vor Jeremia erkennbar gewesen war, kristallisierte sich erst während
des Exils heraus, und der gelehrte Schreiber, der kein Prophet und we-
der königlicher Herkunft war noch von berühmten Ahnen abstammte,
hat ihn dann kodifiziert. Er heiligte in starkem Maße den Sabbath und
wurde so zu einem großen Sozialreformer und Wohltäter der Werktä-
tigen bis in unsere Zeit. Mehr als jeder andere Prophet, Priester oder
Gelehrter, trägt er die Verantwortung für die Form, die der Judaismus
annahm und beibehielt – von den Tagen des Zweiten Reiches über die
persische, die hellenistische und die römische Zeit und, nach der Zer-
störung des Staates durch die Römer, über eine neunzehn Jahrhunder-
te dauernde Verstreuung (Diaspora) unter alle Völker. In der rabbini-
schen Tradition steht Esra an Einfluß und Bedeutung nur Moses nach.
Er erfüllte seine Aufgabe nicht inmitten grollenden Donners oder vom
wolkenumhüllten Berg aus, sondern auf den Straßen von Jerusalem,
das seit seiner Zerstörung durch Nebukadnezar noch immer in Ruinen
lag, eine entvölkerte Stadt, die noch nicht aus der Asche zu neuem
Glanz emporgestiegen war.
Ein historisches Problem, das die Bibelgelehrten aller Zeiten stets er-
regt hat, besteht in der Frage, ob Esra der Vorgänger von Nehemia war
oder sein Nachfolger- jeder von ihnen hatte ein Buch geschrieben, das
in den Schriften nach seinem Namen benannt ist.1
Nach den kanonischen Büchern der Bibel lebte Esra vor Nehemia:
Esra kam aus Babylon im siebten Regierungsjahr des Artaxerxes, Ne-
hemia dagegen aus Susa im 20. Jahr des gleichen Königs. Und doch
wurden überzeugende Argumente vorgebracht, die beweisen sollten,
daß Esra der Nachfolger von Nehemia war und nicht sein Vorgänger.
Eines dieser Argumente lautet, daß zu Esras Zeit der Hohepriester in
Jerusalem Jonathan gewesen zu sein scheint der ein Sohn oder ein En-
1 In früheren Zeiten bildeten das Buch Nehemia und das Buch Esra zusammen ein
Buch.
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kel von Eljasib war, während zur Zeit Nehemias Eljasib als Hoherprie-
ster fungierte. Ein Hinweis darauf, daß Esra und Nehemia gemeinsam
gewirkt haben (Nehemia 7:9), wird als korrumpierter Text angesehen,
und die schlechte grammatische Gestaltung dieses Verses stützt dieses
Urteil.2 Viel ist über die zeitliche
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