Die Seevölker
hellenischen Kü-
ste…« Darüber schreibt Montet: »Das Meer der Hellenen (Helou-nebout)
war für die Ägypter ein Stück des Mittelmeeres, das von Alexandria
bis nach Rosetta reichte. Die hellenische Küste war der Teil der ägypti-
schen Küste westlich von Damietta.«12
Da in Inschriften einer viel weiter zurückliegenden Zeit ein Hinweis
auf Helou-nebout auftaucht, nimmt Montet an, daß der Begriff zu-
nächst auf die Küsten des Agäischen Meeres angewandt und dann
auch auf die ägyptische Küste übertragen wurde – eine Tatsache, die
11 Montet: a.a. O., S. 149. Vergleiche auch Emile Chassinat: »Le Mot seten ›Roi‹« in: Revue de l'Egypte Ancienne, II (Paris 1929), 5f.
12 Montet: Psousennès, S. 92.
206
nach seiner Auffassung beweist, daß sich die Griechen zu einem recht
frühen Zeitpunkt, und mit Sicherheit vor den allgemein akzeptierten
Daten, für ihr erstes Auftreten in Ägypten unter Psammetich im sieb-
ten Jahrhundert13 bereits am Küstenstreifen von einem Ende zum an-
deren Ende des Deltas fest etabliert hatten.14
Von Herodot erfahren wir aber, daß die »hellenische Küste« das
Gebiet entlang der Küste des Deltas war, das sich im Besitz vieler grie-
chischer Stadtstaaten befand, eine Art kolonialer Enklave, mit helleni-
schen Tempeldiensten, die von Amasis gestattet worden waren, dessen
lange Regierungszeit der persischen Besetzung des Landes vorausging.
Herodot schrieb (II, 178):
»Amasis war ein Freund der Hellenen. Er hat manchem Hellenen Gutes
erwiesen und überließ den hellenischen Einwanderern die Stadt Naukratis
zur Besiedelung. Wer nicht dauernd in Ägypten wohnen bleiben, sondern
bloß Handel treiben wollte, denen gab er Plätze, wo sie Altäre und Götter-
tempel errichten konnten. Das größte, berühmteste und besuchteste von
diesen Heiligtümern heißt Hellenion und ist von folgenden Städten ge-
meinsam begründet worden: Von den ionischen Städten Chios, Teos, Pho-
kaia, Klazomenai, von den dorischen Rhodos, Knidos, Halikarnassos, Pha-
seiis und der einzigen aiolischen Stadt Mytilene. Diesen Städten gemein-
sam gehört das Heiligtum, und sie setzen auch Aufsichtsbeamte für den
Handel an jenem Freiplatz ein. Die anderen Städte, die das Heiligtum be-
suchen, sind dort nur Gäste. Die Stadt Aigina hat ein eigenes Heiligtum
des Zeus, die Samier eines der Hera, die Milesier eines des Apollon.«
Die im Grab von Psusennes erwähnte »hellenische Küste« bezog
sich auf die Zeit des Amasis, und da Psusennes ins vierte Jahrhundert
gehört, ist es nur natürlich, daß sich in seiner Grabstätte ein Hinweis
auf die Göttin Mut als »Herr der zwei Länder, Beherrscherin der helle-
nischen Küste« rindet. Wird Psusennes zusammen mit der gesamten
sogenannten 21. Dynastie von der Zeit des Amasis um fünfhundert
Jahre zurückgesetzt, dann bleibt der Anachronismus des Hinweises
auf die hellenische Küste in Ägypten ein unlösbares Problem.
In der Grabkammer, die die Mumie des Psusennes enthält, des
Schwiegersohnes von Herihor, weisen also – von allem anderen abge-
13 Herodot, II, 152.
14 Montet in: Revue Archéologique, 6" sehe, XXXIV, S. 138-40.
207
sehen – verschiedene Anzeichen daraufhin, daß dieses Mitglied der
militärischen Fürstenfamilie in eine Zeit gehört, die viel näher an die
ptolemäische Periode als an das elfte Jahrhundert heranreicht. Daß er
seinen Titel »König« auf eine Art und Weise schreiben läßt, die wäh-
rend der ptolemäischen Periode üblich war, und daß er die Küste west-
lich von Damietta als hellenische Küste bezeichnet, weist in die gleiche
Richtung wie die Verwendung eines persischen Titels in seiner Kartu-
sche.
In der gleichen Grabungskampagne wurde auch die Grabkammer
geöffnet, die neben der des Psusennes lag; auch sie enthielt einen Sar-
kophag; in ihm lag der ›König‹ Amenemope; es wurde der Schluß ge-
zogen, er sei ein Nachkomme – möglicherweise ein Großenkel – von
Psusennes gewesen. Archäologen bemerkten, daß sein Grab und die
Ausstattung überhaupt nicht den Eindruck machten, als gehörten sie
einem König. Wenn schon die gesamte Baustruktur sich nicht mit der-
jenigen der Königsgräber aus der 18. Dynastie in der Nähe von Theben
messen konnte, dann mußte der ärmliche Zustand von Amenemopes
Grab die Ausgräber überraschen. Der Sarkophag hatte einstmals
Moutnedjemi gehört, die entweder die Mutter oder die Frau des Psu-
sennes gewesen war.15
Weitere Kostenlose Bücher