Die Seherin der Kelten
ausgenommen, dass Bellos diesmal wach und rege war und - wenn er nicht von dem pochenden Schmerz im Inneren seines Kopfes förmlich erdrückt wurde - klar denken und sprechen konnte. Nun sagte er: »Genauso dringend brauchen wir Schnee mitten im Sommer. Und wenn ich nicht mehr Zeit verloren habe, als ich mich entsinnen kann, ist mit der Rückkehr unseres von den Göttern geliebten Träumers nicht vor dem Ende des kommenden Monats zu rechnen.«
»Vielleicht, aber wir können ihn ja rufen, oder vielmehr Efnís kann das. In mac Calmas Abwesenheit ist er der Vorsitzende des Ältestenrats von Mona - es muss stets einer auf der Insel bleiben, der diese Würde trägt, um den Traum der Ahnen in sich zu bewahren. Und wenn die Not groß genug ist, gibt es Wege, auf denen ein Träumer dem anderen etwas mitteilen kann.«
Bellos starrte mit trockenen Augen in jene Richtung, von der er annahm, dass Valerius dort stünde. »Dir zuliebe wird Efnís mac Calma aber nicht rufen.«
»Nein. Aber vielleicht tut er es dir zuliebe. Ich kann ihn ja mal fragen. Mehr als ›nein‹ sagen kann er schließlich nicht.«
XIV
»Nein.«
»Efnís, Bellos ist doch nicht dein Feind. Er ist genauso ein Opfer Roms wie jeder andere Mann oder jede andere Frau der Stämme. Er wurde im Alter von sechs Jahren in die Sklaverei verkauft und landete daraufhin in einem Bordell in Gallien, wo er die darauf folgenden vier Jahre jede Nacht aufs Neue verkauft wurde. Ihn traf ein Huftritt an den Kopf, als er versuchte, der roten Stute beim Fohlen zu helfen, denn mich wollte er nicht wecken, und er stürzte, weil er Luain mac Calmas absurde Vorgaben erfüllen wollte, damit wir eure teure Insel endlich wieder verlassen und nach Hibernia zurückkehren können. Wenn er nicht geheilt wird, reisen wir womöglich nie mehr ab. Ist es das, was du willst?«
Valerius stand am Eingang zum Großen Versammlungshaus, so nahe am Herzen von Monas Traumwerkstatt, wie er ihm noch niemals zuvor gekommen war. Als Türpfosten ragten rechts und links von ihm eichene Balken auf, doppelt so groß wie er und so dick wie sein Arm. Die in die Pfosten eingeschnitzten Muster und Symbole bewirkten, dass sich ihm alles drehte, ganz so, wie sie es einmal in seiner Kindheit getan hatten. Um ihren Anblick zu vermeiden, sah Valerius starr geradeaus, in Richtung der Feuergruben, der Waffen und der Krieger und Träumer, die sich im Inneren befanden.
Acht Krieger umstanden ihn in einem Halbkreis, und die von ihnen ausstrahlenden Wogen des Hasses schienen geradezu greifbar, genau wie jene, die Valerius auf den Schlachtfeldern inmitten der brennenden Dörfer gespürt hatte. Einige der Träumer waren nicht wesentlich älter als Bellos. Es war also in der Tat möglich, dass Valerius genau ihre Häuser niedergebrannt und genau ihre Familien erhängt hatte.
In ihrer Mitte stand Efnís. In seiner Jugend war er ein recht stiller Bursche gewesen, nachdenklich, doch keineswegs verschlossen, und der Junge namens Bán hatte ihn gemocht und seine Gegenwart geschätzt. Niemals also hätte er Efnís für so unbarmherzig gehalten, doch andererseits hätte Valerius das von sich selbst ja auch nie gedacht, und doch war er für eine gewisse Zeit zu einem sehr grausamen Menschen geworden.
Doch der Mann, der Valerius nun gegenüberstand, war mehr als grausam; denn Efnís trug in seinem Inneren eine Kraft, die den Schnitzereien auf den Türpfosten schon durch seine bloße Gegenwart Leben verlieh. Die Götter seines Volkes schritten stets mit ihm und durch ihn hindurch, und sie waren nicht geneigt, Mitgefühl walten zu lassen. Seine Augen schauten durch Valerius wie durch Luft, als ob sie einander, außer auf dem Schlachtfeld, nie begegnet wären.
»Nein«, sagte Efnís noch einmal. »Du hast nicht das Recht, Luain mac Calma wie einen Hund herbeizupfeifen. Wenn der Junge stirbt, so trifft dieser Verlust dich, nicht uns.«
Valerius griff nach dem langsam zerfasernden Saum seines Zorns und hielt ihn fest. Wenn man keinerlei Macht besitzt, ist Wut ein Luxus, dem man besser nicht frönen sollte. »Der Verlust würde auch mac Calma treffen«, erwiderte er. »Sobald Bellos stirbt, steht es mir nämlich frei, wieder abzureisen, und unser gemeinsames Jahr wäre noch nicht einmal zur Hälfte verstrichen. Ich bezweifle doch sehr, dass mac Calma euch den ganzen Winter über unserer Gegenwart ausgesetzt hätte, wenn er nicht wollte, dass ich auch noch über den Frühling hinaus hier bleibe.«
»Wie auch immer, ich werde ihn
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