Die Seherin der Kelten
verstehen können, gab der Offizier mit der roten Feder am Helm einen Befehl. Sichtbar rückten daraufhin die Reihen zusammen.
Breaca grinste. »Graine, mein Herzblatt, bevor wir aufbrachen, sagte Airmid, die beste Methode, um sich zu verstecken, bestände darin, deutlich gesehen zu werden. Wenn ich deine Zügel halte, meinst du, dann könntest du es schaffen, gemeinsam mit uns in einer Parade hinunterzureiten? Die Legionssoldaten haben uns bereits entdeckt; sich zu verstecken würde also keinen Sinn mehr machen. Aber als Besiegte möchte ich wiederum auch nicht in ihre Stadt einreiten.«
Breaca beobachtete, wie die Augen ihrer Tochter plötzlich sehr groß wurden. Grünlich grau und wunderschön schimmerten sie im Licht der Sonne. Graine hatte den Sagen der Sänger stets aufmerksam gelauscht. Noch vor ihrem Bruder begriff sie also, was Breaca vorhatte, aber sie war noch keine sonderlich geübte Reiterin, und auf dem neuen Pferd schon gar nicht.
Sie schluckte ihre Angst hinunter und übergab ihrer Mutter die Zügel. »Du und Vater, ihr seid früher schon einmal hier gewesen«, sagte sie. »Noch ehe auch nur einer von uns geboren war. Damals seid ihr auch nicht unterwürfig in den Ort hineingeritten.«
Das waren sie in der Tat nicht. Damals, in jenen lange zurückliegenden Tagen, als sowohl Breacas Volk als auch das von Cunobelin noch frei gewesen war, hatte sie mit lediglich vierzig ihrer eigenen Krieger die zu Reihen formierten Hundertschaften von Cunobelins Speerkämpfern angegriffen.
»Wir sind Eceni«, sagte Breaca. »Wir reiten nirgendwo in unterwürfiger Haltung ein.«
Sie hob die Hand zum Signal, und Cygfa und Cunomar, die die speziell für den Kampf entwickelte Zeichensprache von Mona beherrschten, ritten je rechts und links an Breacas Seite. Zum ersten Mal, seit sie die Siedlung verlassen hatten, lächelte Cunomar. Er betrauerte noch immer den Verlust von Eneits Gesellschaft. Dennoch brannte er darauf, nun, da sich ihm die Chance bot, wie ein Krieger an der Seite seiner Mutter loszustürmen. Cygfa stimmte das Kampflied der Ordovizer an, und sofort berührte sie alle sein Klang. Breaca vermisste ihr Schwert mehr denn jemals zuvor, seit sie es in dem Grabhügel der Ahnen zurückgelassen hatte.
Was sie nun vorhatte, war der reine Wahnsinn, doch sie hatte den ganzen Winter über allein nach den Regeln des Verstandes gehandelt, und die Legionssoldaten, die vor den Toren der Stadt warteten, hatten offenbar bereits ihre Befehle erhalten - welcher Art diese auch immer sein mochten. Sollte nun also der Moment ihres Todes gekommen sein, wollte Breaca ihm wenigstens nicht in geduckter Haltung entgegenreiten, und auch ihre Kinder wollte sie dem Feind nicht ihres Stolzes beraubt ausliefern. Cunomar und Cygfa empfanden das Gleiche; allein der veränderte Ausdruck in ihren Augen war bereits ein Geschenk.
Noch viel mehr wert war allerdings, dass Graine zwar Angst verspürte, sich aber dennoch tapfer bemühte, diese nicht zu zeigen. Breaca beugte sich zu ihr hinüber, küsste sie und strich ihr eine Strähne ihres offenen Haares hinter das kleine Ohr. »Kind meines Herzens, halte dich vorn am Sattel fest und vertrau deinem Pferd. Es ist das beste Tier, das ich je gezüchtet habe. Es weiß, wie es auf dich Acht zu geben hat.«
Anschließend sagte Breaca etwas zu ihrer eigenen Stute, die daraufhin ganz ruhig wurde und auf etwas zu warten schien. An ihre beiden anderen Kinder gewandt erklärte sie: »Breitet die Arme aus, damit sie sehen, dass wir unbewaffnet kommen.«
Sie taten, wie ihnen geheißen, und warteten ebenfalls. Hinter ihnen erkannte und begriff nun endlich auch Tagos, was gerade geschah, konnte jedoch nicht mehr einschreiten.
Wie sie es schon so oft bei den Kämpfen im Westen getan hatte, hob Breaca auch hier ihren Arm empor und senkte ihn dann mit einer schnellen, ruckartigen Bewegung.
» Los!«
Der Lärm von Camulodunum wurde leiser und verstummte schließlich ganz. Der Morgen war nun nur noch von einem einzigen Geräusch erfüllt: Drei Eceni-Krieger und ein Eceni-Mädchen trieben ihre Pferde in halsbrecherischem Galopp auf jene Triumphbögen zu, welche den vollkommenen Sieg Roms über ihr Volk symbolisierten. Der Wind hob ihre Umhänge an und ließ den ihnen noch von der Reise anhaftenden Staub davonwirbeln. Tagos und die Kavallerieeskorte, die von diesem Manöver vollkommen überrumpelt wurden, gerieten hoffnungslos ins Hintertreffen. Sie verlangsamten daraufhin ihr Tempo und blieben schließlich
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