Die Seherin der Kelten
ganz stehen, abgeschreckt von dem starken Gefälle des Hügels.
Die Eceni dagegen waren für einen Ritt wie diesen geradezu geboren; gegen Ende bereitete er selbst Graine Vergnügen. Erst im allerletzten Moment - als die Legionssoldaten, die mit dem Westen noch nicht in Berührung gekommen waren und auch schon seit geraumer Zeit nicht mehr im Krieg gedient hatten, erschrocken darum kämpften, in exakt ausgerichteten Reihen stehen zu bleiben -, erst in diesem letzten Augenblick zogen die drei Krieger und das Kind die Zügel an, um auf ihren schwitzenden, keuchenden Pferden vor dem Juniortribun der Zwanzigsten Legion und dessen mit weit aufgerissenen Augen zuschauenden Männern zum Stehen zu kommen. Und erst mit dem letzten Schritt der Tiere - als der Offizier sah, dass die Reiter tatsächlich anhielten - schob er sein Schwert wieder in die Scheide zurück.
Lächelnd blickte Breaca ihn an. Beinahe zwanzig Jahre lang waren die besten Köpfe Monas ihre Lehrer gewesen. In fehlerlosem Latein sagte sie: »Breaca von den Eceni überbringt dem Gouverneur ihren Gruß und bittet darum, dass er ihr die Ehre erweisen möge, ihre Geschenke anzunehmen.«
»Seid willkommen, Breaca von den Eceni, Gemahlin von Prasutagos, dem König Eures Stammes.«
Die beste Methode, um sich zu verstecken, ist, deutlich gesehen zu werden. In diesem Glauben hatte Breaca ihre Familie im gestreckten Galopp in die Todesfalle namens Camulodunum geführt, und man hatte sie in der Tat noch nicht festgenommen. Sollte Graine sich irren und wären sie bereits dazu verurteilt, am Kreuz zu sterben, so wusste zumindest dieser Juniortribun, der abkommandiert worden war, um sie zu empfangen, noch nichts davon. Während er eisern an seiner Würde festhielt, befahl er seinen Männern, sich in Reihen um Breaca, deren Kinder und den etwas verspätet eingetroffenen Tagos zu schließen. Unter Aufbietung all seiner Respektbezeugung führte der Offizier sie nun durch die mit schmierigem Schlamm überzogenen, lärmenden Straßen von Camulodunum bis zum Forum hinauf, wo sie in Reihen darauf warten mussten, angekündigt zu werden.
»Seid willkommen, Cygfa und Graine, nach dem Recht der Eceni die Erbinnen von Prasutagos, und Cunomar, sein Sohn.«
Neben einem Podium stand ein teiggesichtiger Sekretär und las von einem vorgefertigten Schriftstück ab. Dann sah er auf und wagte es, Cygfas Blick erhaschen zu wollen, woraufhin diese ihm ein Lächeln schenkte, so strahlend vor lauter gut verborgenem Hass, dass nur ein Träumer ihn sehen könnte. Der Sekretär geriet völlig aus dem Häuschen, wusste nicht mehr, bei welcher Textstelle er gerade gewesen war. Schließlich fand er sie doch wieder und haspelte seine Ansprache eilig und unter Missachtung der angemessenen Betonung zu Ende.
»Quintus Veranius, durch die Gnade Seiner Exzellenz des Kaisers Nero Gouverneur von Britannien, vormals Konsul von Rom, vormals römischer Priester, vormals erster Gouverneur von Lykien und Pamphylien, heißt Euch willkommen und dankt Euch für Eure außergewöhnlichen Geschenke.«
Unter Verbeugungen wich der Sekretär zurück in die Reihe der römischen Offiziere und hohen Beamten, die sich vor der aus schwarzem Marmor gearbeiteten Rückwand des Forums versammelt hatten. Sie alle musterten aufmerksam die Eintretenden, doch keiner von ihnen bewies so schlechte Manieren, dass er sie offen angestarrt hätte, obgleich der neue Armreif des Königs aus miteinander verflochtenen Goldfäden und den mit Schmelzglas überzogenen Kupferemblemen an den Endstücken unwillkürlich ihre Blicke und Aufmerksamkeit auf sich zog - ganz so, wie es beabsichtigt gewesen war.
Der Gouverneur von Britannien, Stellvertreter des Kaisers in der Provinz und ausgestattet mit der Macht über Leben und Tod eines jeden Bewohners dieses Reiches, trat vor und auf das Podium hinauf, und für einen Moment zog er alle Blicke auf sich. Quintus Veranius’ Paradeuniform, wenngleich von schlichter Farbe, war mit Leichtigkeit das teuerste Kleidungsstück, das jemals in der Provinz von Britannien gesehen worden war, und stand dem mit Goldfäden durchwobenen Krönungsgewand von Kaiser Claudius in nichts nach.
Der aus ziseliertem Gold gefertigte Kürass des Gouverneurs zeigte die kompliziert verschlungene Darstellung einer fischschwänzigen Ziege mit einigen Eichenblättern und einer emporrankenden Weinrebe. Sein Schulterumhang war von einem so tiefen Braun, dass es fast schwarz erschien, seine darunter getragene, in schlichter
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