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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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klaren Gedanken zu fassen. Fast das Gleiche hatte in einem seltenen Moment der Ehrlichkeit auch Cunomar ausgedrückt, damals, als er gerade aus Rom zurückgekehrt war: Ganz gleich, wie sehr man sich bemühte, das Grauen ein wenig erträglicher zu gestalten, indem man sich auch das Schlimmstmögliche bereits im Geiste ausmalte, sich die Albträume in realer Gestalt vorzustellen versuchte und ihnen selbst den letzten Schleier der Illusion noch abriss - beim Anblick eines massiven Kreuzes brach für einen die Welt zusammen.
    Breaca hatte noch nie im Schatten ihrer eigenen Hinrichtung gestanden - so wie die beiden älteren ihrer Kinder. Nun, in jenem langen, schweigenden Atemzug, den sie auf der Kuppe des Hügels von Camulodunum tat, lernte sie das Wesen und das ganze Ausmaß der Angst kennen, die Cygfa und Cunomar damals empfunden haben mussten, und Breacas Achtung vor beiden erreichte neue Höhen.
    Eine kleine Hand schloss sich um ihr Handgelenk. Nachdrücklich sagte Graine erneut: »Starr sie nicht so an. Sie haben noch kein Blut geschmeckt, und sie sind auch nicht für uns errichtet worden. Es wird ein Krieger der Stämme sterben und ein Bürger Roms, und beide halten sie bereits gefangen. Noch hat man uns nicht verraten.«
    Sie war ein Kind. Den ganzen Weg den Abhang hinauf, den sie auf ihrem neuen Pferd geritten war, hatte sie sich mit beiden Händen an den vorderen Rand des Sattels geklammert, so wie es Kinder eben taten - doch ihre Stimme klang ebenso erwachsen und war von einer ebensolchen Gewissheit erfüllt wie an jenem noch nicht allzu lange zurückliegenden Nachmittag in der Schmiede, als Graine für die ältere Großmutter gesprochen hatte.
    Breaca nickte, doch ihr fehlten die Worte. Neben ihr begann auch Cunomar, sich langsam wieder zu regen. »Demnach sollten wir dann wohl auch davon ausgehen, dass die Legionen, die da gerade losmarschieren, uns lediglich ihre Hochachtung erweisen möchten und uns nicht etwa festnehmen wollen?«
    Er gab sich große Mühe, völlig ungerührt zu wirken. Seine Stimme klang desinteressiert, seine Worte schienen lediglich wie die beiläufige Bemerkung von jemandem, der beobachtete, wie in weiter Entfernung ein Vogel in sein Nest zurückkehrte oder wie mitten in der Wurfzeit ein Lamm geboren wurde. In Cunomars Gesichtszügen zeichnete sich keinerlei Regung ab; eine dünne Schale des Stolzes hielt sie ruhig - Stolz und die hartnäckige Weigerung, im Angesicht des Feindes auch nur einen Anflug von Angst zu zeigen.
    Allein seine Augen verrieten ihn. Von den starren Schatten über dem Hinrichtungsplatz schweifte Cunomars Blick zum westlichen Stadttor hinüber, wo ein riesiger, zweifach geschwungener Triumphbogen die Hauptstraße nach Camulodunum hinein überspannte. Angeführt von einem Offizier auf einem grauen Pferd marschierten unter diesem Bogen gerade achtzig Männer hindurch und formierten sich anschließend zu drei exakt ausgerichteten Reihen. Die Soldaten führten ein wahres Spektakel auf und waren sich dessen auch bewusst; in dem gleißenden Sonnenlicht schimmerten die Kettenglieder ihrer Rüstungen wie ein Netz aus Silber, und die Spitzen ihrer Lanzen erinnerten an Reiher, die auf ein paar unaufmerksame Fische warteten. Auf ihren Schilden prangten aufgemalte Blitze - ihre Konturen im Winter frisch nachgezogen -, und ihre bronzenen Helme glänzten von zahllosen Abenden des Polierens.
    Hinter ihnen erstreckte sich über eine weite Ebene, die einst Cunobelins ertragreichstes Ackerland gewesen war, die Hauptstadt der römischen Provinz Britannien - genauer gesagt, die einzige Stadt in dieser Provinz - und dehnte sich bis in jene Gebiete hinein aus, wo früher einmal dichte Wälder gewesen waren. Weder Mauern noch Wachtürme umgaben die Stadt, und allein dieser Umstand schrie die Arroganz Roms förmlich hinaus. Wozu brauchten sie in einem Land, das sie sich unterworfen hatten, denn noch Festungsmauern und Schutzwälle - jene Festungsmauern und Schutzwälle, auf die der Sonnenhund einst angewiesen gewesen war?
    »Eines Tages werdet ihr das Fehlen der Mauern noch bereuen«, sagte Breaca, allerdings nicht allzu laut. Aber selbst wenn sie gebrüllt hätte, hätten die Männer, die auf der Straße tief unter ihr exerzierten, sie wohl kaum gehört. Einer allerdings hob schließlich doch den Blick zu Breaca empor, und leise schwebte mit der Brise auch sein Fluch zu ihr herüber. Achtzig Gesichter schimmerten blässlich im Sonnenschein. Und zu weit entfernt, als dass man ihn hätte

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