Die Seherin der Kelten
zitterte, als er geendet hatte. Selbst drei Jahre ohne Wein oder Ale hatten ihn noch nicht ganz von dem durch ihren einstigen übermäßigen Genuss herrührenden Muskelzittern befreien können. Glücklicherweise bebte das noch nicht fertig gestellte Schwert, das er in der Hand hielt, aber nicht mit ihm. Dennoch musterte Luain mac Calma ihn mit einer für den Schmied geradezu unheimlichen Intensität.
Er war bis zur Hüfte hinab nackt, und weiß leuchteten seine Kriegsnarben unter den Bächen von Schweiß hervor. Nähme ein Mann sich einmal die Zeit dazu und bedeutete ihm dies etwas, dann könnte er aus der Landkarte der vernarbten Wunden, die den Körper des Schmieds überzogen, die Geschichte der Eroberung Britanniens herauslesen. Zwei Männer hatte es bislang gegeben, denen dies in der Tat etwas bedeutet hatte, doch sie beide lebten nun jenseits der Reichweite von Herz und Verstand. Noch immer aber vermochten die Erinnerungen an diese beiden Männer den Schmied zu lähmen - wenn er es ihnen denn ausnahmsweise einmal gestattete. Er senkte die Klinge zum Abkühlen in das neben dem Amboss stehende Wasserfass hinab und ließ den aufsteigenden Dampf die Bilder seiner Vergangenheit auslöschen.
Allerdings hatte er damit nur mäßigen Erfolg. Denn er hätte die Namen der beiden Männer und den Schmerz über ihren Verlust auch ebenso gut laut aussprechen können, so auffällig hatte sich der Ausdruck auf mac Calmas Gesicht verändert. Durch den immer dichter aufsteigenden weißen Nebel erklang die Stimme des Vorsitzenden des Ältestenrats von Mona: »Es tut mir Leid. Ich hätte nicht herkommen, hätte dich hier, in deiner Zufluchtsstätte, nicht aufstören sollen. Ich dachte mir einfach nur, dass du die Neuigkeiten erfahren solltest.«
Deine Schwester ist tot. Doch er würde keine Fragen stellen. Denn selbst diese kurze Nachricht war bereits mehr, als er zu ertragen vermochte.
Langsam zog der Wasserdampf durch den Schornstein nach draußen. Als der Schmied wieder klar sehen konnte, war mac Calma bereits wieder gegangen. Nur seine Stimme schallte träge von draußen aus dem Tageslicht herein, wo er sich gerade mit Bellos, dem belgischen Jungen unterhielt, der zwar kein Sklave mehr war, aber dennoch das Pferd des Gastes hielt, ganz so, als ob dies noch immer zu seinen Pflichten gehörte.
»Die rote thessalische Stute in dem Pferch da drüben sollte eigentlich mein Gastgeschenk sein. Sie ist schon ein wenig fortgeschritten im Alter, und im Augenblick kann man sie ohnehin nicht reiten, aber früher war sie ein sehr wertvolles Tier. Sie ist trächtig von einem pannonischen Schlachtross, und wenn das Fohlen die Vorzüge sowohl seines Vaters als auch seiner Mutter geerbt hat, dann sollte es durchaus einiges wert sein. Ich habe noch ein paar Angelegenheiten mit den Träumern von Irland zu besprechen, und da käme es mir äußerst ungelegen, wenn ich sie nun wieder mit zurücknehmen müsste. Könntest du also vielleicht...?«
Luain mac Calma hatte drei Jahrzehnte lang bei den klügsten Köpfen von Mona studiert; die rhetorischen Fähigkeiten, die er dort erworben und bis zur Vollendung perfektioniert hatte, zeichneten ihn ebenso sehr aus wie die diversen anderen Gaben, die ihm bereits in die Wiege gelegt worden waren. Wenn er wollte, dann konnte er die Bewohner eines gesamten Rundhauses schon mit der ersten Strophe einer Legende jubelnd aufspringen lassen. Ebenso konnte er mit leisem Flüstern ein krankes Kind in den Schlaf hinübergeleiten, so dass es noch vor dem nächsten Morgen wieder vollkommen gesundete. Und er konnte die Seele jenes Mannes berühren, der gerade darum kämpfte, sich eine Haut der Unverwundbarkeit zuzulegen, und diesem Mann beweisen, dass er noch immer alles andere als unberührbar war.
Der Schmied trat einen Schritt von seinem Amboss zurück. »Wen hast du denn da mitgebracht? Wo hast du denn eine rote thessalische Stute aufgetrieben?« Er stand an der Tür, mitten im hellen Tageslicht, und hatte ganz vergessen, dass er doch eigentlich das Dämmerlicht der Schmiede vorzog. Das auskühlende Schwert in seiner Hand hing nutzlos herab.
Als Antwort trat der Träumer einen Schritt zur Seite, damit der Schmied sein Gastgeschenk sehen konnte. Die Stute stand in dem kleinen Pferch neben der Hütte. Sie war allerdings schon deutlich älter als bloß ein wenig fortgeschritten im Alter; genau genommen musste man sie als uralt bezeichnen, sozusagen als eine betagte Großmutter unter den Pferden. Man hatte sie
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