Die Seherin der Kelten
hätten ihn getötet, um sich an ihm für den Tod eines Jungen zu rächen, so wie sie seinerzeit auch schon den Amtsvorgänger des Gouverneurs, Scapula, ermordet hatten.
Auf dieses Thema angesprochen, hatte mac Calma jedoch nur gelächelt und abgewiegelt: »Das waren nicht wir. Scapula wurde auf Airmids eindringliche Bitte hin von der Träumerin der Ahnen getötet. Und den Gouverneur hat deine Schwester ganz allein ins Jenseits befördert, mit etwas Hilfe von den Bärinnenkriegern der Kaledonier und dank ihrer einzigartigen Verständigung mit den Göttern natürlich.«
Seine Schwester, Breaca, deren Name nicht erwähnt wurde und auch niemals erwähnt worden war.
Vor diesem Gedanken war Valerius’ Geist bislang stets zurückgeschreckt, und mac Calma hatte ihn auch zu nichts gezwungen, obgleich sich der Älteste noch niemals zuvor so offen über die Wege der Götter und der Träumer geäußert hatte und über die Art und Weise, auf die die einen zu den anderen sprechen könnten. Ebenso hatte Valerius sich jedoch vor jenem rätselhaften Satz gescheut, den mac Calma vorgebracht hatte, als Valerius bereits dabei gewesen war, sich vor der Welt zu verschließen.
Du wirst wissen, wann es an der Zeit ist.
Hier aber existierten Zeit und Raum gar nicht mehr, dafür war es in der Traumkammer der Ahnen zu finster. Da keinerlei Licht in den Grabhügel eindrang, hatte Valerius jedes Zeitgefühl verloren. Und da er keinen Begriff mehr von der Zeit hatte, hatte er sich schließlich verloren - eine verirrte Seele, die in ihrer eigenen Gesellschaft gefangen war -, schier erdrückt von einer ihn plötzlich wieder viel zu leibhaftig umschließenden Vergangenheit; das alles hatten die neun Monate des Erzählens bewirkt.
Während er gegen eine wachsende Panik ankämpfte, versuchte Valerius, Zuflucht in der Gegenwart zu suchen, und erkannte zu spät, dass es dort nichts mehr gab, was ihm noch Halt bieten könnte - nichts außer dem langsamen, beruhigend gleichmäßigen Atem eines Hundes und dem unaufhörlichen Echo von mac Calmas Stimme, die in Rätseln sprach, für die Valerius keine Lösungen wusste.
Du wirst wissen, wann es an der Zeit ist .
Zeit, um was zu tun?
Ich biete dir dein Geburtsrecht an.
Und ich akzeptiere das Angebot. Du musst mir nur sagen, was ich tun muss.
Ich kann dir nicht helfen.
Wer sonst, wenn nicht du?
Hätte es irgendetwas genützt, dann hätte Valerius jetzt geweint. Selbst in den von Verzweiflung erfüllten Tagträumen, die ihn als Erwachsenen gepeinigt hatten, hatte er sich niemals derart vollständig und auf ganzer Linie versagen sehen. Der Junge, der Bán war, hatte von seinen drei langen Nächten in der Einsamkeit geträumt, sicher und geborgen in der Obhut seiner Mutter, die ihn nicht scheitern lassen würde. Jetzt aber war er drauf und dran zu scheitern und konnte doch nicht das Geringste dagegen tun.
Du wirst es wissen.
Er wusste nichts, gar nichts und hatte auch keine Möglichkeit, die Dinge, die er eigentlich wissen sollte, nun noch in Erfahrung zu bringen. In seiner grenzenlosen Verzweiflung drehte Valerius sich zur Seite, legte sich auf den Boden und krümmte sich zusammen, bis sein Rücken sicher in dem Bogen geborgen war, den der Hund mit seinem Körper beschrieb, und der schwere, warme Atem des Tieres seinen Nacken schützte. Und als er so dalag, wie er in seiner Kindheit oft dagelegen hatte - dicht an den tröstlich warmen Körper eines Hundes geschmiegt -, schloss Julius Valerius die Augen und suchte die Freiheit des Schlafes.
An welche Götter hast du dich gewandt?
» Ich habe keine Götter.«
Seine eigene Stimme weckte ihn, schien viel zu laut in der Dunkelheit. Mac Calmas Frage schwebte vor Valerius’ Antwort durch den Raum, so als ob sie erst kürzlich gestellt worden wäre.
Die rachsüchtigen Götter lachten und ließen Bellos erneut erblinden, töteten ein Fohlen, um sich selbst ein Blutopfer darzubringen. Mithras ging über Feuer und Wasser, und das Blut eines geschlachteten Stiers füllte die Grabkammer der Ahnen und wurde mit der Flut wieder fortgeschwemmt.
»Du hast zu viele Götter. Du kannst sie nicht alle behalten. Für welchen entscheidest du dich?«
Die Stimme war Valerius’ eigene, doch sie kam nicht aus seinem Mund. Sie kam aus der trockenen Luft und dem noch trockeneren Stein und klopfte an Valerius’ Knochen.
Ein halbes Dutzend Antworten drängten sich ihm auf und rangen miteinander. Wenn er sich in Gesellschaft befunden hätte - wenn es mac Calma
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