Die Seherin der Kelten
Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit geprägten Jahren seines Erwachsenendaseins hatte Julius Valerius - einst Bán, Bruder der Breaca vom Stamme der Eceni - sich jemals vorgestellt, dass er seine drei langen Nächte der Einsamkeit tatsächlich einmal in einer Traumkammer im Herzen eines aus Steinen errichteten Grabhügels in den wilden, unwirtlichen Gegenden Hibernias verbringen würde. Noch dazu in der Gesellschaft eines Jagdhundes, dessen bloße Größe allein schon ausreichte, um ihm Angst einzujagen. Und nie hätte er geglaubt, dass in dieser Zeit die Angst vor seinem eigenen drohenden Versagen noch schwerer auf ihm lasten würde, als die Angst vor dem Hund.
Der Hund war von Anfang an dort gewesen. Valerius hatte das Tier unwissentlich gestreift, als er durch den finsteren Tunnel in die Grabkammer hineingekrochen war, und da hatte es sich knurrend erhoben und ihm seine Nase ins Gesicht gepresst - woran Valerius erkannt hatte, dass der Hund mindestens ebenso groß war wie Hail, wenn nicht sogar größer, und dass er ihm die Störung äußerst übel nahm. Zu jenem Zeitpunkt hatte er allerdings noch nicht gewusst, wie klein die Kammer tatsächlich war; er hatte nur gemerkt, dass sich der Tunnel endlich erweitert hatte, so dass er sich aus seiner unbequemen, auf Ellbogen und Knien ruhenden Körperhaltung aufrichten konnte, wofür er zumindest schon einmal dankbar war.
Als er dann auch noch die Fingerspitzen ausstreckte, um nach den Steinwänden zu tasten, hatte er festgestellt, dass er sowohl beide Wände berühren, als auch den Kopf an die Decke der Kammer drücken konnte und trotzdem noch immer nicht vollkommen aufrecht zu stehen vermochte. Somit war also der Grabhügel, der von außen groß genug ausgesehen hatte, um gut und gerne die Hälfte aller Ältestenratsmitglieder von Mona zu beherbergen, im Inneren auf einen Raum beschränkt, der nur gerade eben groß genug war, als dass ein Kampfhund und ein Mann sich zugleich darin aufhalten konnten.
Der Hund hatte aber nicht gewollt, dass sie sich dort gemeinsam aufhielten. Das anfänglich noch leise, warnende Grollen des Tiers hatte sich zu einem lauten, unüberhörbar wütenden und äußerst drohend anmutenden Knurren gesteigert, bis Valerius sich schließlich auf den Erdboden setzte, den Rücken gegen die Steinwand presste und die Knie bis zur Brust hochzog. Er war Offizier in der Kavallerie des römischen Kaisers gewesen, hatte ganze Armeen in den Krieg geführt und zahllose Dörfer in Schutt und Asche gelegt, und nun ließ er sich hier doch tatsächlich von einem Hund derart ins Bockshorn jagen, dass er sich auf den Boden kauerte und sich so klein machte, wie er nur irgend konnte.
Die Situation war so absurd, dass er am liebsten laut darüber gelacht hätte, aber er traute sich nicht, denn das Tier war ihm einfach zu nahe. Stattdessen hatte er auf Eceni auf den Hund eingesprochen, so als ob dieser Hail wäre, und da hatte der Hund sich ein klein wenig beruhigt, war ein paar Mal im Kreis herumgetappt und hatte sich schließlich an der gegenüberliegenden Seite der Kammer ausgestreckt.
Auf eine bestimmte Art half die Anwesenheit des Hundes, die in einer solch engen Grabkammer unweigerlich aufkommende Klaustrophobie halbwegs in Schach zu halten. Die Winzigkeit des Raums ließ Valerius vor Unbehagen verstummen, während er gleichzeitig staunend darüber nachsann, mit welchen Mitteln die Ahnen wohl diese Masse von Stein bewegt hatten, aus der man gut und gerne die Außenmauer des Kaiserpalasts hätte erbauen können, und sie zu einem perfekten bienenkorbförmigen Gebilde geformt hatten, um die Heiligkeit und Unantastbarkeit der Kammer im Herzen des Grabhügels zu schützen.
In Ermangelung irgendwelcher anderer Ablenkungsmöglichkeiten erforschte der Mann, der früher einmal ein Pionier der Legionen gewesen war, durch vorsichtiges Tasten mit der Hand jenen Ort, der nur zu leicht zu seinem Sarg werden könnte und zum letzten Gefäß seiner Seele. Quaderförmige Steine drückten gegen Valerius’ Rücken, noch ebenso scharfkantig wie an jenem Tag vor unerdenklich langer Zeit, an dem sie behauen worden waren. Die Steine, die den Fußbodenbelag bildeten, waren so dicht miteinander verfugt, dass Valerius noch nicht einmal einen Fingernagel in die Ritzen schieben konnte. Nur eine flache Mulde im Boden - eine abgewetzte Stelle, die sich genau dort befand, wo er jetzt saß - zeugte von jenen hunderten, die in den Generationen, seit die Ahnen der Ahnen einst diesen
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